Samstag, 21. Dezember 2013

Alle Jahre wieder...


…sollte Weihnachten eine besinnliche und ruhige Zeit sein, aber in unserer heutigen Gesellschaft bedeutet Weihnachten Stress, purer Stress. 
Jahrelang habe ich mir unbewusst diesen Stress auch angetan. Geschenke besorgen, Einladungen zum Fest aussprechen bzw. entgegen nehmen, Einkäufe für das Weihnachtsessen, Wohnung dekorieren und den Vorgarten, Weihnachtsfeiern, etc.

Vor zwei Jahren habe ich damit aufgehört.
 Das Dekorieren wurde weniger, aber immer noch weihnachtlich. Geschenke kaufe ich alle online, so erspare ich mir die Hektik in den Geschäften, das Gedrängel an den Kassen und das Schleppen der vielen Einkaufstaschen. 
Einladungen aus der Verwandtschaft wurden liebevoll abgelehnt mit der Begründung, dass wir einfach nur als Familie das Weihnachtsfest genießen möchten und unserem Sohn somit etwas negativen Stress damit wegnehmen. Es sollte ein Versuch sein, ob er so besser mit diesen Veränderungen rund um Weihnachten umgehen kann. Auch haben wir selbst niemanden an den Weihnachtsfeiertagen eingeladen. Es wurde kein einsames Weihnachten, sondern ein sehr besinnliches. Es war nicht nur, dass unser Sohn Weihnachten nicht kränkelte, sondern auch mir ging es wesentlich besser. Ich habe es einfach nur genossen, im Kreise meiner Lieben zu verweilen. Auch fand mein Mann, das es so viel besser ist und wir dieses weiterhin so halten sollten. Natürlich war es für Außenstehende nicht leicht zu verstehen, warum wir uns nicht mehr blicken ließen zu Weihnachten bzw. selbst keinen Besuch mehr empfangen wollten, war dies doch nicht typische Weihnachten, wo sich alle trafen, die sich sonst (fast) das ganze Jahr aus dem Wege gehen. Weihnachten 2011 war das erste Fest ohne Heucheleien und so sollte es bleiben.
Im Folgejahr haben wir es dann ebenso gehalten, nur sollte diesmal auch das traditionelle Weihnachtsessen wegfallen, damit auch ich noch etwas mehr Ruhe erhalte. Daran hatte ich dann doch etwas zu nagen, da dieses Essen ein Ritual bei mir war und für mich einfach dazugehörte. Aber ich schloss mich der Mehrheit meiner Familie an und siehe da, es wurde ein noch schöneres Weihnachtsfest, da es mit Ausnahme von den Geschenken und der Weihnachtsdekoration Tage wie alle anderen waren und dennoch anders. Denn es waren unsere Weihnachten, besinnliche Weihnachten mit unserer Familie. Jeder Einzelne von uns genoss diese Zeit in der Familie, mit der Familie.
Und so kann ich mich auch nun kurz vor Weihnachten ruhig zurücklehnen und warten, bis der Heilige Abend näher rückt. Die Geschenke werden heute von mir eingepackt, der Weihnachtsbaum am Morgen des Heiligen Abend geschmückt und kleine Vorbereitungen für den Abend getroffen. Die Kinder haben sich in diesem Jahr Raclette gewünscht und so kann ich alles in Ruhe vorbereiten und abends vor der Bescherung bereiten wir gemeinsam unser Essen zu. Ich kann wirklich behaupten, ich freue mich auf Weihnachten, ohne mir den Schweiß von der Stirn wischen zu müssen.

So lange ich denken kann, war Weihnachten die Zeit mit dem größten Stressfaktor. Egal, ob als Kind, wo ich zwar keinen Vorbereitungsstress hatte, aber die Ängste vor dem Ungewissen, was ich wohl an Geschenken erhalte, wie die Besuche ablaufen, der Gang in die Kirche. Weihnachten war leider nicht immer nur kindliche Vorfreude, sondern auch mit Angst verbunden. Als dann die Zeit kam, in der ich selbst Familie hatte, wollte ich diese Tradition natürlich fortführen, dachte ich doch, all dieses gehört zu Weihnachten dazu. Erst heute weiß ich, das es jedem selbst freigestellt ist, wie sein Weihnachten aussehen soll und dank meiner lieben und verständnisvollen Familie haben wir einen Weg gefunden, der uns gefällt und wieder Vorfreude auf Weihnachten beschert. 
In diesem Sinne wünsche ich all meinen Lesern frohe Weihnachten.

Dienstag, 10. Dezember 2013

Eine Reise in die Vergangenheit

Sorry, ich habe schon lange nichts mehr geschrieben. Leider fand ich keine Zeit, immer gab es wieder neue Hürden, die bewältigt werden mussten. Aber nun, wo für viele der alljährliche Weihnachtsstress losgeht, kehrt bei mir wieder etwas Ruhe ein. Ruhe und Zeit, damit ich wieder Schreiben kann.

In der letzten Zeit ist soviel um mich herum passiert, dass ich gar nicht wirklich weiß, wo ich anfangen soll.
Vor einigen Wochen hatte ich Klassentreffen. Ein Wiedersehen mit ehemaligen Mitschülern, zu denen ich seit mehr als 30 Jahren keinen Kontakt mehr habe. Einerseits war da die Neugier und Vorfreude auf meine allerliebste Schulfreundin, andererseits auch wieder diese Ängste. Ängste um einen nicht vorhersehbaren Ablauf des Abends mit mir doch inzwischen fremden Menschen. Wie verläuft die Kommunikation mit meinen ehemaligen Mitschülern? Wird mich jemand ansprechen oder verbringe ich, wie früher, die meiste Zeit auf meinen Platz und schaue nur interessant in die Runde und beobachte? Email- und Telefonkontakt habe ich noch mit zwei ehemaligen Schulfreundinnen und denen habe ich im Vorfeld ja schon von meiner Diagnose und meinen Kommunikationsschwierigkeiten erzählt. Diese wollten mich unterstützen und in Gespräche verwickeln. Auch meine damals beste Schulfreundin hatte sich ja vor dem Klassentreffen mit mir in Verbindung gesetzt und wusste nun Bescheid.
Mit einem doch sehr mulmigen Gefühl begab ich mich nun zu diesem Klassentreffen. Mit meiner damals allerbesten Freundin habe ich mich vor dem Treffpunkt verabredet, damit wir gemeinsam reingehen können. Das erleichterte mir die Sache schon ungemein. Als wir dann in den für uns zur Verfügung gestellten Raum gingen, waren bereits drei Personen anwesend. Wir wurden sofort überschwänglich freundlich mit einer Umarmung begrüßt. Die erste Hürde war genommen. Nach und nach trudelten dann auch die anderen Mitschüler ein. Es wunderte mich nicht wirklich, aber bis auf zwei Ehemalige habe ich alle sofort wieder erkannt nach all der Zeit. Auch vier ehemalige Lehrer kamen. Es wurden Fotos herumgereicht und man kam doch relativ schnell ins Gespräch. Natürlich war, wie schon in Schulzeiten, meine allerbeste Freundin immer an meiner Seite. Irgendwie hatte sich bei uns nichts geändert, trotz der langen Zeit, die wir ohne Kontakt waren, es war sofort wieder diese vertraute Situation aus Schulzeiten. Jeder wechselte irgendwann mal seinen Platz, um mit dem einen oder anderen Erinnerungen auszutauschen bzw. etwas aus dem derzeitigen Leben zu erfahren. Jeder? Nein. Ich saß die ganze Zeit auf meinem Stuhl und wechselte nie. Stand nur auf, wenn ich zum Rauchen mit meiner Freundin nach Draussen ging. Aber ich hatte ständig andere Platznachbarn und so konnte ich mich auch mit einigen ehemaligen Mitschülern unterhalten. Es war ein sehr schöner und sehr langer Abend, aber vor allem auch ein sehr Interessanter, denn ich habe wieder soooooo viel erfahren von mir und Eindrücke sammeln dürfen, die mir meine ehemaligen Mitschüler aus der Erinnerung heraus erzählten. Mit zwei ehemaligen Lehrern hatte ich auch ein sehr interessantes Gespräch. Meine Klassenlehrerin kam irgendwann zu mir hin und meinte ganz erstaunt: „Ich wusste gar nicht, das Sie reden können“. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, das Sie früher nur etwas gesagt haben, wenn Sie gefragt wurden“. Ja, ich war eine sehr ruhige Schülerin, aber dass ich soooooo wenig gesagt habe, das wusste ich selbst nicht mehr. So erzählte ich ihr von meiner Diagnose und sie holte immer mehr aus mit ihren Erinnerungen an mich und wie sie mich früher gesehen hat. Es war unglaublich. An viele Mitschüler konnte sie sich nicht mehr erinnern, aber ich war noch in sehr guter Erinnerung. Eigentlich hatte ich das Gegenteil erwartet, nämlich das die Erinnerungen an die etwas lebendigen Schüler höher waren, als an die Ruhigen. Während ich dann mal wieder zum Rauchen ging, kam meine ehemalige Mathelehrerin ebenfalls mit raus. Sie fragte gleich, was ich jetzt so mache und wiederum erzählte ich ihr in kurzen und knappen Sätzen von meiner ehrenamtlichen Tätigkeit und meiner Diagnose. Plötzlich sprudelte es nur so aus ihr heraus. So oft habe sie noch nach der Schulzeit an mich und mein „Anders sein“ denken müssen, besonders, nachdem sie viele Jahre später eine Schülerin erhielt, die die Diagnose Asperger-Autistin hatte und sie die einzige Vertraute für dieses Mädchen in der Schule war. Dieses Mädchen, so sagte sie, habe sie immer an mich erinnert.
Auch erhielt ich viel Lob von den anderen anwesenden Ehemaligen, da alle sehr erstaunt waren, wie ich mich verändert habe und damit meinten sie nicht äußerlich, sondern von meiner offenen Art.

Nach diesem Treffen brauchte ich mehrere Tage, um von all diesen Eindrücken und Erkenntnissen wieder in den Alltag zu finden. Meine Gedanken wirbelten wie ein Orkan in meinem Kopf, ich konnte tagelang nichts mit mir anfangen.

Es war für mich wie eine Reise in die Vergangenheit und ich werde diese Reise noch lange in Erinnerung behalten und freue mich bereits jetzt schon auf ein Wiedersehen, welches nun im nächsten Jahr geplant ist.

Freitag, 4. Oktober 2013

Ja sagen und Nein meinen



Wie oft habe ich anderen schon gesagt, du musst auch mal „Nein“ sagen können. Denk auch mal an dich.
Aber wie oft stehe ich selbst vor diesem inneren turbulenten Konflikt mit dem gedanklichen Nein und ausgesprochen wird immer wieder dieses JA! 
Seit meiner Diagnose führe ich ein „Das-hast-du-gut-gemacht“-Heft. In diesem Heft schreibe ich mit Datum alle Dinge rein, die ich bewältigt habe, obwohl sie mir nicht leicht gefallen sind. So habe ich z.B. beim Einkaufen eine Verkäuferin angesprochen, da ich ein bestimmtes Produkt nicht gefunden habe (wäre mir früher im Traum nicht eingefallen) oder ich habe den Geburtstag meines Sohnes allein mit 5 Kindern in einer mir vollkommen fremden Umgebung verbracht (in den Jahren davor hatte ich immer Unterstützung dabei).
Ich trage dieses Heft immer bei mir, damit ich in für mich schwierigen Situationen daran denke, das ich wieder etwas neues eintragen kann, wenn mir etwas „unüberwindbares“ im Wege steht. Nur der Gedanke an diesem Heft hat mir schon sehr viel Mut gemacht auch mal etwas für mich Neues auszuprobieren. So nun auch das Wort „Nein“. Selbstverständlich musste mein Mann für mein offenes Nein als erstes herhalten, aber es ist mir gelungen, es auszusprechen und auch zu begründen. Mein Mann wollte am Wochenende mit seinem Freund gemeinsam ein Bundesligaspiel schauen und damit kein schlechtes Gewissen den Frauen gegenüber hochkommt, glaubten die beiden Männer, sie könnten uns mit einem Essen friedlich stimmen und während der Fußballzeit sollte ich mit der Frau die Zeit verbringen. Da ich selbst auch gerne Fußball schaue, wäre dies alles kein Problem für mich gewesen. Zum einen kenne und mag ich diese Frau und zum anderen sind ja auch noch die Männer dabei und drittens, es wäre bei uns zu Hause gewesen. Also wäre dies alles für mich in Ordnung und ich habe dieser Idee zugestimmt. Aber da mein Mann ja sehr spontan ist und er kurzfristig noch zwei Karten für das Spiel erhalten hat, wollte er nun mit seinem Freund die Fahrt auf sich nehmen und das Spiel Live im Stadion sehen. In meiner Abwesenheit hat er seinen Freund von den Karten telefonisch in Kenntnis gesetzt und gleichzeitig gemeint, die Frauen können ja die Zeit gemeinsam verbringen. Himmel Herrgott, das wären mit Hin- und Rückfahrt zum Stadion und der Spielzeit gute 7 Stunden gewesen, die ich mit der Frau des besten Freundes meines Mannes verbringen müsste. Innerlich stieg schon wieder Panik in mir auf, was sollte ich denn 7 Stunden machen? Wir haben nicht wirklich gemeinsame Interessen bzw. Gesprächsthemen, die mich 7 Stunden überstehen lassen würden. Aber genau in diesem Moment, als mein Mann mir von seiner doch so tollen Idee berichtet hat, haben ich laut gemeint: „Nein – auf gar keinen Fall“. Ich habe ihm mitgeteilt, warum und wieso dies auf keinen Fall geht und dass ich nicht möchte, das er meine Freizeit einfach so verplant. Er war ganz erstaunt darüber, zeigte jedoch Verständnis und ich bat ihm, sich etwas einfallen zu lassen, was er nun der Frau seines Freundes erzählt, warum ich nicht bereit bin, diese geschätzten 7 Stunden mit ihr zu verbringen.
Ich war und bin immer noch stolz wie Bolle, das ich es geschafft habe, einfach mal „Nein“ zu sagen. Natürlich hätte ich mich nicht auch noch rechtfertigen müssen für dieses Nein, aber ich wollte meinem Mann natürlich auch die Gründe dafür mitteilen, vor allem, damit er in Zukunft nicht einfach über mich hinweg entscheidet.
Nun bin ich gespannt, ob es beim nächsten Mal auch so „einfach“ klappt, das ich dieses Wort so schnell wieder raus bringe. Der Anfang ist getan und nun schauen wir mal…



Freitag, 13. September 2013

Wie eine Zeitung meinen Tagesablauf durcheinander bringen kann


Mir war es nie so bewusst, dass ich einen eingespielten Tagesablauf habe bzw. brauche. Aber inzwischen lerne ich ja viel dazu und beobachte mich selber auch. Hätte mir früher einer gesagt, das ich feste Rituale in meinem Leben habe und sollte nur eines dieser Rituale nicht zeitmäßig in meinen Ablauf vorkommen, das damit mein ganzer Tag durcheinander gerät, ich hätte wohl laut aufgelacht und ihm den „Vogel“ gezeigt.
Gerade in dieser momentanen Phase der „Selbstfindung“ ist es nun passiert, dass ich morgens aufgestanden bin und unsere Tageszeitung nicht, wie gewohnt, im Zeitungsfach lag. Nachdem ich morgens aufgestanden bin, trinke ich erst einmal in aller Ruhe meinen Kaffee und lese dazu die Tageszeitung. Danach beginne ich dann, meinen Sohn zu wecken und alles für seinen Schultag vorzubereiten. Ab 07.20 Uhr bin ich dann soweit, dass ich meinen Tagesablauf, je nach Vorhaben, angehen kann. An diesem Tag war nun plötzlich alles anders…
Keine Tageszeitung. Der Kaffee lief bereits durch und ich hatte immer noch keine Zeitung. Nun hätte ich ja inzwischen das Frühstück für meinen Sohn vorbereiten können, damit ich dann, sobald die Zeitung da ist, diese Arbeiten schon einmal erledigt habe. Aber nein…es ging nichts. Ich setzte mich auf unsere Treppe auf dem Flur mit meinem Kaffee und wartete geduldig auf meine Tageszeitung. Immer und immer wieder ging ich zur Tür, schaute ins Zeitungsfach – nichts. Anrufen kann man dort erst ab 9 Uhr, aber ich lese meine Zeitung halt um 06.15 und normalerweise ist die Zeitung auch immer schon ab 5 Uhr im Zeitungsfach. Nur diesen Morgen nicht. So wartete ich bis 06.45 Uhr und ging dann meinen Sohn wecken, machte ihn für die Schule fertig und schaute wieder ins Zeitungsfach – nichts. Nachdem ich meinem Sohn das letzte Mal zugewinkt habe beim Verlassen des Hauses, drehte ich mich um und schaute in den Briefkasten und da lag sie: Meine Tageszeitung. Nun hätte ich sie natürlich in aller Ruhe lesen können, aber nein. Ich ärgerte mich dermaßen darüber, das die Zeitung nicht im Zeitungsfach geschoben wurde, sondern wahrscheinlich eine Vertretungszustellerin die Zeitung in den Briefkasten geworfen hat, das ich gar keine Zeit hatte, um die Zeitung in Ruhe zu lesen. Für mich war der Tag gelaufen. Nichts, was ich mir vorgenommen hatte für diesen Tag, konnte ich vernünftig ausführen bzw. überhaupt beginnen. Alles drehte sich nur um diese blöde Zeitung. Also setzte ich mich an den PC und versuchte mir einen Plan zu machen für den Notfall, falls die Zeitung wieder mal nicht pünktlich im Zeitungsfach bzw. im Breifkasten liegt und ich die Zeit anders oder sinnvoller nutze, als 30 Minuten auf der Treppe zu sitzen und Trübsal blase. Ich ärgerte mich inzwischen schon über mich selbst, dass der Gedanke an diese Zeitung mich dermaßen aus der Ruhe brachte und ich an nichts anderes denken konnte. An diesem Vormittag erhielt ich noch zwei Anrufe und selbst in diesen Gesprächen war für mich die Tageszeitung das Hauptgesprächsthema. Gegen Mittag kehrte langsam Ruhe in mir ein und ich unternahm einen neuen Anlauf mit meiner Tageszeitung. Ich setzte mich an den Küchentisch und versuchte die Zeitung zu lesen. Aber ich fand die Themen plötzlich vollkommen uninteressant, die ganze Zeitung war für mich irgendwie „von gestern“. Ich war nicht in der Lage, diese Zeitung in Ruhe zu lesen. Nachdem mein Sohn dann mittags aus der Schule kam und zwei Stunden später auch mein Mann von der Arbeit, hatte ich noch nichts geschafft, außer mich immer noch über diese Zeitung zu ärgern. Selbst das Mittagessen fiel an diesem Tage aus. Natürlich habe ich meiner Familie nicht gesagt, das es aufgrund der Tageszeitung so war und ich deswegen zu nichts anderem im Stande war, aber ich musste es mir selber eingestehen, diese Zeitung hat es geschafft, an diesem Tage alles durcheinander zu bringen.
Am nächsten Morgen war ich einigermaßen vorbereitet und ging mit wenig Hoffnung zum Zeitungsfach. Nichts. Aber ich schaute diesmal gleich in den Briefkasten und da war sie. Der Tag zumindest war gerettet. Am Abend machte ich noch einen Zettel fertig und klebte diesen an den Briefkasten mit dem Hinweis für den Zeitungszusteller, die Zeitung doch bitte in das Zeitungsfach zu stecken, damit der Briefkasten nicht überquillt, wenn die Post auch noch rein geworfen wird. J Konnte ja schlecht schreiben, dass ich es so gewohnt bin, das die Zeitung ins Zeitungsfach gehört und bei fehlender Zeitung mein ganzer Tag hinüber ist. Seit dem Hinweis klappt es wieder mit unserer Tageszeitung, ich habe sie jeden Morgen im Zeitungsfach. Entweder lag es jetzt an meinen Zettel oder aber unsere gewohnte Zeitungszustellerin ist wieder da und die weiß, wo eine Zeitung hingehört, damit mein Tag ein guter Tag wird.


Samstag, 31. August 2013

Das Mutter-Sohn-Gespräch



Lange habe ich dieses Gespräch mit meinem Sohn vor mir her geschoben und nun war es endlich soweit. Wie es dazu gekommen ist, könnt ihr gerne in meinem vorherigen Post nachlesen.

Wie versprochen kam mein Sohn auf mich zu, damit ich mit ihm die gewünschte Aussprache führen konnte. Ich war sehr nervös, aber dennoch einigermaßen gefasst und wusste auch sofort, wo ich mit meinem so wichtigen Gespräch beginnen sollte. Dies kommt ja selten vor, aber noch nie habe ich mich so lange und intensiv auf ein Gespräch vorbereitet. Ich schilderte ihm also den Verdacht auf Autismus bei mir und berichtete ihm weiterhin, dass ich bereits mitten in der Diagnostik stecke. Dies musste bei ihm erst einmal etwas sacken, aber nachdem ich ihm dann einige Beispiele aufgeführt habe, wieso weshalb warum ich den Verdacht habe und das mein Verhalten bei dem Ergebnis seiner Abschlussprüfung für mich der ausschlaggebende Grund war, warum ich mich in die Diagnostik begeben habe, fand er schnell zu sich zurück und teilte mir auch prompt mit, das dieses Verhalten von mir ihn überhaupt nicht gewundert oder erstaunt hat. Kennt er mich doch nicht anders. Ich habe mir also in Bezug auf die fehlenden und ihm nicht gezeigten Gefühle viel zu viel Gedanken gemacht. Aber gut, das es nun ausgesprochen war. Wir führten ein sehr langes Gespräch und es war für mich eine neue Erkenntnis, so offen über alles mit ihm zu reden. Im Laufe dieser Unterhaltung fielen ihm dann auch plötzlich einige Dinge an mir auf, die normalerweise für ihn überhaupt nicht der Rede wert gewesen wären, da er es nie anders kannte, aber nun ergaben diese Verhaltensmuster von mir einen Sinn. So kamen Dinge zum Vorschein, die ich noch nicht einmal bemerkt habe, weil sie für mich wiederum selbstverständlich sind, aber scheinbar nicht „normal“.
Als erstes meinte er, ich kaufe immer die gleichen Produkte ein. Nur wenn mein Mann mit zum einkaufen kommt oder mein Sohn etwas auf die Einkaufsliste schreibt, dann kommen auch mal andere Dinge ins Haus. Das ist mir noch nie aufgefallen, ist aber wirklich so. Ich traue mir einfach nicht, neue unbekannte Produkte mitzubringen, wenn ich nicht weiß, ob sie auch gegessen werden. Also wird von mir nur das bekannte Produkt gekauft. So kommt es halt vor, dass ich eine Salami-Pizza nur von einem bestimmten Hersteller kaufe, ist diese nicht vorrätig, wird keine gekauft. Die Peperoni- oder Mozarella-Pizza gibt es dann nur von einem anderen Hersteller. Mein Sohn suchte sich diese Produkte mal beim Einkaufen aus und so habe ich diese dann halt immer wieder gekauft, die gleiche Pizza von einem anderen Hersteller kam für mich nie in Frage. Dies nun als ein Beispiel, das mein Sohn mir aufzählte.

Weiterhin ist es die Sache mit meinen Gewohnheiten, auf die ich bestehe, aber kein anderer aus der Familie. Mein Sohn hat sich mal bei einer McDonalds-Aktion ein Coca-Cola-Glas mitgebracht. Also war dies sein Glas und er trinkt auch daraus (meine Gedankenweise!). Nimmt sich nun mein Mann genau dieses Glas aus dem Schrank, dann schreite ich sofort ein und bitte ihn darum, ein anderes Glas zu nehmen, da aus diesem Glas ja unser Sohn immer trinkt. Mein Mann hat dies nie verstanden und mein Sohn irgendwie auch nicht – kicher – mir war oder ist es aber wichtig, das es respektiert wird, das bestimmte Gläser oder Tassen auch nur von bestimmten Leuten benutzt wird. So halte ich es auch mit meinen Kaffeepötten in der Küche. Habe ich mal Besuch und gebe diesem Gast eine Tasse, so erhält er diese Tasse auch beim nächsten Besuch wieder und ist diese gerade nicht sauber, dann wasche ich sie schnell ab, anstatt eine andere saubere Tasse aus dem Schrank herauszuholen. Dinge, die meinem Sohn an mir aufgefallen sind, aber bei denen er sich nie wirklich etwas gedacht hat, kennt er mich ja nicht anders.

Auch zu meiner nicht vorhandenen Spontanität ist ihm dann noch einiges eingefallen.
Letztendlich war dieses Gespräch für beide Seiten sehr aufschlussreich mit ganz neuen Erkenntnissen und Sichtweiten. Mein Sohn hat mir wieder Dinge an mir aufgezeigt, die mir selbst nie so extrem aufgefallen sind. Seit diesem Gespräch kommt er nun auch häufiger mal zu mir, meistens, wenn ihm wieder etwas aufgefallen ist, was nicht wirklich typisch ist, aber für ihn inzwischen zu meiner Art dazugehört. Ich finde es wirklich interessant, mich nun auch aus der Sicht meines Sohnes kennen zu lernen.

Ganz interessant fand ich dann noch den Vorschlag, den er mir machte. Da ich ja für meinen jüngsten Sohn anfangs einen Tagesplan aufgestellt hatte, machte mein Großer mir nun den Vorschlag, das ich dieses auch einmal bei mir ausprobieren sollte und das ich vielleicht mal weniger versuchen sollte, es immer anderen und auch der Familie Recht zu machen, sondern das ich in erster Linie nun einmal versuchen sollte, mein Level durchzuziehen und die Familie sich auch einmal ein wenig nach meinen Bedürfnissen richten sollte. Er für sich möchte dies nun in Zukunft wesentlich intensiver machen und mich mehr in sein Leben mit einbeziehen, soweit ich dies zulassen kann.


Dieses Gespräch hat so viel Neues in mir ausgelöst. Es war so befreiend und erleichternd und dieses Glücksgefühl konnte ich ihm am Ende des Gespräches sogar mitteilen.  Welch ein Erfolg in jeder Hinsicht. 

Dienstag, 27. August 2013

Meine Vorbereitung für eine wichtige Aussprache


Es ist schon seltsam, wie sich Dinge plötzlich in einem verändern, obwohl sich gar nichts geändert hat.  Nur ein langes und intensives Gespräch und schon sieht alles ganz anders aus. Eigentlich nicht anders, aber vieles wird mir gerade wesentlich bewusster und diese Erkenntnis habe ich wieder mal meinem Sohn zu verdanken. Aber diesmal schreibe ich nicht von meinem kleinen Aspie, nein, diesmal geht es um meinen ältesten Sohn.
Ich habe nie mit ihm über meinen Verdacht gesprochen, wir haben eigentlich nie viel miteinander gesprochen. Es ging meistens nur um wesentliche Dinge, die einfach besprochen oder gesagt werden mussten, aber Smalltalk gab es zwischen uns wenig. Unsere Gespräche hatten immer bestimmte Themen und ich habe eigentlich immer geglaubt, wir verstehen uns auch ohne viele Worte super gut. Ja, wir verstehen uns wirklich super gut, das hat mir dieses besagte Gespräch nun auch wieder aufgezeigt. Ich bin gerade mächtig stolz auf meinen Sohn, in diesem Moment sogar super stolz auf meine beiden Söhne, da bei uns gerade viele neue Veränderungen eingetreten sind, die jeder für sich und auf seine Art super gemeistert hat. Aber nun fange ich mal von vorne an, also mit dem Zeitpunkt, warum es zu diesem Gespräch mit meinem Sohn gekommen ist/kommen musste.

Es begann mit der bestandenen Prüfung meines Sohnes.  Freudestrahlend kam er nach Hause und teile mir sofort seine Prüfungsnote (2,0) und zeigte mir seine Urkunde, auf der nun schwarz auf weiß stand, welchen Titel er ab sofort tragen darf. Mein Gott, ich bin geplatzt vor stolz und mein Herz raste wie verrückt, innerlich. Rein äußerlich zeigte ich keinerlei Regung, keine Umarmung, einfach keine Emotionen, nur den einfachen und trockenen Satz: „Ich gratuliere dir“. Nachdem mein Sohn das Zimmer verlassen hatte, wurde mir ganz plötzlich bewusst, was ich da gerade angerichtet habe. Mir liefen sofort die Tränen, aber ich konnte es nicht ändern. Hinterher gehen und ihn noch einmal in den Arm nehmen und gratulieren? Nein, ich kann das nicht. Aber er ist mein Sohn, warum fällt mir das so schwer? Früher als Kind habe ich ihn doch auch immer in den Arm genommen, habe mit ihm gekuschelt. Ich war so verzweifelt und hilflos in diesem Moment, aber ich konnte es einfach nicht ändern. Gedanklich habe ich mir immer wieder neue Anläufe gesucht, damit er weiß, wie stolz ich auf ihn bin, wie sehr ich ihn liebe. Aber ich konnte es ihm nicht mitteilen und das schmerzte in diesem Moment so ungemein. Ich versuchte es dann mit Schreiben. Ich glaubte, wenn ich ihm einen Brief schreibe und ihm meine Gefühle darin mitteile, dann wird er mich vielleicht verstehen. Aber auch das klappte nicht, obwohl ich ja viel lieber und besser schreiben kann, als reden. Aber meinem Sohn einen Brief schreiben? Ist das nicht etwas zu fremd?
Mittags kam dann mein Mann von der Arbeit nach Hause und ich erzählte ihm ganz stolz von dem Prüfungsergebnis. In diesem Moment kam auch mein Sohn in den Raum und mein Mann ging sofort auf ihn los und umarmte ihn überschwänglich und sehr herzlich. Da liefen mir wieder die Tränen. Warum können die beiden sich so herzlich in den Arm nehmen, wo mein Mann nicht einmal sein leiblicher Vater ist und ich als Mutter stehe so neben der Spur und kann meine Gefühle meinem Kind gegenüber nicht so zeigen, wie ich sie innerlich spüre. In mir drin brach eine Welt zusammen und ich wusste nicht, wie ich dies ändern kann. Es musste ein Gespräch her und zwar sehr schnell, dessen war ich mir bewusst. Ich musste ihm von meinem Verdacht erzählen, bevor mein Anders sein und unsere Bindung komplett zerstört.
Tagelang ließen mich diese Gedanken nicht mehr los. Wie beginne ich dieses Gespräch? Aus dem tagelang wurde ein wochenlang.
Dann kam der Moment, in dem mein Sohn mir mitteilte, dass er mit dem Gedanken spielt, auszuziehen. Panik kam in mir hoch. Nicht, weil er ausziehen möchte, denn das Alter dazu hat er ja schließlich mit seinen derzeit 23 Jahren. Nein, die Panik in mir hatte andere Ursachen. Wenn er jetzt auszieht und ich nicht mit ihm gesprochen habe, dann ist alles vorbei. Er weiß ja nicht, dass ich ihn nicht anrufen kann und dass ich nie unangemeldet bei jemanden vor der Tür stehe. Mein Sohn wiederum ist ein sehr spontaner junger Mann und würde nie auf die Idee kommen, mich mal einzuladen in seine neue Wohnung bzw. telefonisch melden, das sind für ihn selbstverständliche Dinge. Ich würde ihn die erste Zeit nur sehen, wenn er seine Wäsche vorbei bringt zum waschen, bis er eine eigene Waschmaschine hat. Gedankenchaos pur. Mit jedem anderen konnte ich inzwischen über meine Gedanken und meine Ängste zu diesem Thema sprechen, aber nicht mit meinem Sohn.
Ich musste handeln, nur wie?
Seit Anfang August befinde ich mich nun selbst in der Diagnostik und seitdem hat sich vieles bei mir verändert. Ich entwickle plötzlich einen nie gekannten Ehrgeiz, Dinge zu bewältigen, die mir bisher große Schwierigkeiten bereitet haben.
Ich habe ja in meinem vorherigen Post über das Thema „Über den eigenen Schatten springen…“ geschrieben und dieses Gespräch gehörte nun auch zu einem meiner wichtigsten Übungen. Ich setzte mich also nun damit selbst unter Druck, dass es zu einer meiner Aufgaben gehört, dieses Gespräch unverzüglich zu suchen.  Fünf Tage hatte ich mir zur Frist gesetzt, dann musste ich meinen Sohn um ein Gespräch bitten. Ich war in dieser Zeit kaum aufnahmefähig und zu nichts zu gebrauchen, aber meine „Aufgaben“ wollte ich pflichtbewusst abhaken können. Dies wird nun wahrscheinlich kein NT verstehen, aber  für mich eine sehr große Herausforderung, der ich am liebsten aus dem Weg gegangen wäre. Am dritten Tag meiner mir gesetzten Frist nahm ich den gefühlten 1.000sten Anlauf und es hat geklappt. Mein Sohn saß morgens gerade am Frühstückstisch und die Gelegenheit war günstig, da sonst niemand aus der Familie weiter anwesend war. Ich frage in meiner gewohnten kurzen und knappen Art, ob er in den nächsten Tagen mal etwas Zeit für ein Gespräch hat. Natürlich fragte er sofort, um was es geht. Aber ich habe mich auf diese Frage lange genug vorbereitet und so konnte ich ihm wieder kurz und knapp eine Antwort geben, ohne auch nur ansatzweise auf den genauen Gesprächs-Punkt zu kommen. Da er kurze Zeit später zum Fußball musste, sagte er mir zu, dass er anschließend Zeit für mich hat und wir dann reden könnten. Natürlich war die Zeit dazwischen für mich sehr nervenaufreibend, da es bis zum frühen Abend noch dauern sollte, bis dieses für mich wichtige Gespräch nun endlich stattfinden sollte, aber der Anfang war getan und ich bin wieder einen Schritt weiter.
Im nächsten Post schreibe dann über MEIN Gespräch und den neuen Erkenntnissen.


Samstag, 24. August 2013

Über den eigenen Schatten springen…



…ist ja leichter gesagt, als getan.
Als Kind habe ich dies ja oft versucht, doch ich habe auch sehr schnell bemerkt, dass ich nie über meinen Schatten springen kann. Auch konnte ich nicht schneller sein, als mein Schatten (das schafft wohl auch nur Lucky Luke) J . Dennoch habe ich dies oft versucht, meistens, wenn die Sonne so ungünstig stand und mein Schattenbild immer vor mir ging. Das fand ich schon sehr nervig. Etwas später habe ich dann mitbekommen, was es heißt, wenn jemand über seinen Schatten springt und genau dies versuche ich jetzt gerade.

Meine Schattensprünge sind gerade Aufgaben, die ich mir selber setze. Aufgaben, die mir nicht leicht fallen, aber ich weiß, das ich sie schaffen kann/werde. Ich schreibe mir gerade einige Aufgaben auf, die ich in gewissen Abständen immer wiederholen möchte/will/muss, sobald ich mit dem Vorhaben einer Aufgabe begonnen habe.
Einige meiner Aufgaben bestehen darin, das ich nun regelmäßig (zur zeit einmal die Woche) ein Telefonat führe. Ich telefoniere ja relativ häufig und lange, aber ich werde immer angerufen, da mir das Telefonieren (wie bereits in einen früheren Post geschrieben) Schwierigkeiten bereitet.  Nun besteht die Aufgabe darin, dass ich anrufen MUSS! Vor zwei Wochen habe ich damit angefangen. Ich habe mir erst einmal relativ einfache Gesprächspartner ausgewählt. Einfach im Sinne von „eingeweihte“ Gesprächspartner. So wurde mein erstes „Anrufopfer“ meine Cousine. Nach dem dritten Klingelzeichen wollte ich schon wieder auflegen, da ich eigentlich gar keinen Grund hatte zum anrufen, es war ja für mich nur eine Übung, aber ich hielt tapfer durch, bis sich am anderen Ende jemand meldete. Während ich das Freizeichen hörte, machte ich mir schon wieder Gedanken, was ich sagen könnte, wenn jetzt ihr Mann oder einer ihrer Söhne ans Telefon geht. Zum Glück war auch gleich meine Cousine dran. Somit hatte ich meine erste Aufgabe erfüllt und diese muss ich nun einmal wöchentlich wiederholen. Allerdings immer mit anderen Gesprächspartnern. In dieser Woche habe ich sogar schon zwei Telefonate geführt, für die ich wieder etwas Vorbereitungszeit benötigte, aber sie gehörten dennoch zu meinem „Training“ mit dazu. Diese Aufgabe werde ich noch einige Zeit weiter so laufen lassen und mal schauen, ob es mir eines Tages vielleicht einfacher fällt, ein Telefonat zu führen oder ob es für immer eine für mich schwierige Situation bleibt.

Meine zweite Aufgabe ist es, alte „Freundschaften“ aufzufrischen. Ich hatte ja während der vergangenen Jahre immer eine Freundin an meiner Seite. Mal war es für eine lange Zeit meine Schulfreundin, dann eine sehr gute Arbeitskollegin. Aber es war halt immer zeitlich begrenzt, wenn auch über einen sehr langen Zeitraum, aber dennoch blieben diese Freundschaften irgendwann aus. Ich habe mir immer Gedanken gemacht, was ich wohl falsch gemacht habe bzw. warum sie sich plötzlich nicht mehr melden. Aber inzwischen weiß ich ja die Antwort. SIE meldeten sich immer bei mir und irgendwann war es ihnen wahrscheinlich zu „blöd“, da ich nie angerufen habe oder spontan bei ihnen vor der Tür stand. Ich habe in all den Jahren nie eine Freundschaft wirklich gepflegt, obwohl mir diese Freundschaften immer wichtig waren. Dies ist mir aber nie bewusst gewesen. Nun habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, diese Kontakte wieder herzustellen. Wir haben uns ja nie im Streit getrennt, sondern stillschweigend von einander entfernt. Den Anfang werde ich mit meiner ehemaligen besten Schulfreundin machen. Die ersten Kontakte sind bereits schriftlich geknüpft (dank Facebook) und wir wollen uns demnächst auch einmal treffen. Ich werde bei diesem Treffen auch offen über meine Schwierigkeiten sprechen, damit es nicht zu Missverständnissen kommt, denn nun kenne ich ja mein Problem und kann demzufolge auch offen darüber reden.

Diese beiden Aufgaben werde ich nun bis Ende des Jahres zum Ziel haben und hoffentlich positiv abschließen können. Es ist für mich ein großer Schattensprung und vielleicht werde ich ja ein kleiner Lucky Luke und kann in Zukunft schneller und häufiger „über meinen Schatten“ springen.



Mittwoch, 26. Juni 2013

Mein Freund, der Spiegel...

Eigentlich müsste ich in den nächsten Tagen mal wieder zum Friseur. Aber ich schiebe es irgendwie immer wieder hinaus. Es gibt gewissen Dinge beim Friseurbesuch, die in mir absolutes Unbehagen hervorrufen. Zum einen dieser Smalltalk.
Wenn es nach mir geht, ist das Gespräch in dem Moment beendet, wenn ich der Friseuse gesagt habe, was sie mir für eine Frisur verpassen soll. Aber nein, die Friseusen müssen ja immer bei ihrer Arbeit reden. Wahrscheinlich aus reiner Höflichkeit dem Kunden gegenüber. Ich wiederum finde es unhöflich, wenn ich ihr mitteilen würde, dass ich an einem Gespräch nicht interessiert bin. Also antworte ich nur, wenn ich etwas gefragt werde. Meistens hören diese Gespräche dann nach kurzer Zeit auf und sie widmet sich ganz meinem Haarschnitt. Dann kommt schon wieder mein schlechtes Gewissen zum Vorschein und die Friseuse tut mir etwas leid, da ihre Kolleginnen sich angeregt mit ihrer Kundschaft unterhalten und meine „Auserwählte“ eine sehr wortkarge Arbeit ausführen muss. Also beginne ich wieder zu überlegen, was ich so an alltägliches unnützes Zeug von mir geben könnte. So vergeht meist die ganze Zeit, ohne das mir auch nur ein Wort von den Lippen kommt. Um mein schlechtes Gewissen dann etwas zu erleichtert, gibt es immer etwas Trinkgeld dazu. So hoffe ich immer, das ich einen nicht ganz schlechten Eindruck hinterlasse und beim nächsten Mal auch wieder freundlich bedient werde.
Dann ist noch dieser Blickkontakt, dem man ausgesetzt ist, wenn man vor einem dieser Spiegel sitzt. In diesem Moment bin ich fast gezwungen, mir in die Augen zu schauen. Am liebsten würde ich meine Augen während dieser ganzen Prozedur schließen, aber dann mache ich mir wieder Gedanken, was wohl die Friseuse gerade denkt, wenn ich jetzt einfach meine Augen schließe. Damit ich so schnell als möglich immer wieder aus dem Friseursalon rauskomme, lasse ich mir die Haare nur schneiden. Aber gelegentlich lasse ich sie mir auch tönen, und dann ist es eine endlose Qual für mich. Ich finde den Besuch beim Friseur noch schlimmer, als die Arztbesuche, wenn man unendlich lange im Wartezimmer sitzen muss. Beim Friseursalon sind es aber wohl hauptsächlich diese Zigtausende von Spiegeln, die man dort ausgesetzt ist. Immer und überall, egal wie man geht und steht, sieht man irgendwelche Gesichter und macht sich wieder unnötige Gedanken.

Zuhause habe ich Spiegel nur dort, wo sie unbedingt nötig sind. Also in den Bädern und im Schlafzimmer am Schrank. Diesen großen Spiegel am Schrank benötige ich, da ich bei der Anprobe immer sehr unsicher bin, ob ich dieses oder jenes auch ruhig tragen kann und so muss der Spiegel mir immer die  Antwort darauf geben. Ansonsten findet dieser Spiegel bei mir kaum Beachtung, er dient mir einfach nur zur Sicherheit, damit ich mich von Kopf bis Fuß komplett eingekleidet sehen kann. Sonst würde ich total unsicher das Haus verlassen, einfach aus Angst, dass ein Kleidungsstück nicht richtig sitzt oder die zusammengestellte Kombination nicht wirklich zusammenpasst. Es kommt auch vor, dass ich zwei bis dreimal hintereinander kontrolliere, ob auch wirklich noch alles richtig sitzt bzw. ich auch wirklich so gekleidet bin, das ich mich damit auch zeigen kann. Das hat keineswegs etwas mit Eitelkeit zu tun, denn das bin ich ganz und gar nicht. Es ist einfach diese Unsicherheit. Aufgrund meiner ganzen Eigenschaften fehlt es mir einfach an gewissen Stellen an Selbstbewusstsein und dann möchte ich wenigstens in einigen Punkten rein äußerlich wenigstens nicht auch noch für unnötigen Gesprächsstoff sorgen.
Auch beim Autofahren empfinde ich den Rückspiegel als äußerst unangenehm, wenn ich hinten im Auto sitze. Ich habe dann ständig das Gefühl, das ich vom Fahrer beobachtet werde. Natürlich konzentriert dieser sich dabei auf den Straßenverkehr und dazu gehört natürlich auch der Blick in den Rückspiegel, aber wenn ich genau in diesem Moment in diese Richtung schaue und den Blick des Fahrers bemerke, fühle ich mich auf irgendeine Art und Weise ertappt, obwohl ich ja gar nichts gemacht habe. Am schlimmsten ist dies natürlich, wenn es sich dabei um einen Fahrer handelt, den man nicht wirklich gut kennt, z.B. Taxifahrer oder ein Partner eines guten Freundes, mit dem man nicht so häufig zusammentrifft. Bei meinem Mann bzw. guten Freunden stört mich dies weniger, wahrscheinlich, weil ich dann auch den Blick nicht so häufig in Richtung dieses Spiegels habe.
Wahrscheinlich ist der Spiegel auch einer der Gründe, warum ich mich nur relativ selten schminke. Ich kann es einfach nicht so lange ertragen, dem Blick des Spiegels standzuhalten und beim Schminken brauch man nun mal eine gewisse Zeit. Aber hin und wieder muss ich mich dann auch dazu überwinden. Aber ich würde mich nie freiwillig dieser täglichen Prozedur aussetzen. Von daher nur, wenn es wirklich sein muss.
Ich werde mich wohl nie mit einem Spiegel anfreunden können, aber zum Glück muss ich das auch nicht…




Montag, 24. Juni 2013

Unbewusste Hilfestellungen

Wenn man sich heutzutage darüber unterhält, ob man noch eine Diagnostik anstreben sollte, dann hört man oftmals die Kommentare: „Wozu denn, bist doch bisher gut durchs Leben gekommen“ oder „Immer diese Trittbrettfahrer“ oder „Wieder so eine Modediagnose?“ oder “Diese Macken sind  doch wahrscheinlich nur durch dein Kind auf dich abgefärbt“. Zum Glück musste ich mir dies noch nicht anhören, aber ich habe es schon von anderen in einigen Foren und Gruppen gelesen, denen es ähnlich geht wie mir.
Aus der Sicht anderer mag das vielleicht hinkommen, dass man bisher gut durchs Leben gekommen ist. Aber weiß auch nur einer, wie man durchs Leben gekommen ist. Wie schwer einem vieles gefallen ist, wenn man selbst nie wusste, warum es so war? Gerade weil man ein autistisches Kind hat, sieht man sich teilweise darin wieder. Es kommen Erinnerungen von früher zum Vorschein, man macht sich Gedanken und findet wieder ein Puzzleteil, welches an die richtige Stelle gelegt werden könnte.
Nach der Diagnose hat mein Sohn Verhaltenstherapien erhalten und wir haben in den Eltern-Therapiestunden vieles erfahren dürfen. Einige Kinder erhalten heute aufgrund ihrer Diagnose eine Schulbegleitung, damit sie im Schulalltag etwas besser zurecht kommen, die Eltern kämpfen und machen sich stark für ihre Kinder und versuchen damit, ihren Kindern das Leben etwas zu erleichtern und lernen selbst daraus. Sie gehen in Selbsthilfegruppen und speziellen Autisten-Foren zwecks Erfahrungsaustausch. All das gab es früher nicht. Man musste also irgendwie zurecht kommen und funktionieren. Eine Diagnose hätte wohl früher auch nicht den gleichen Effekt gehabt, wie es heute bei unseren Kindern ist. Die Zeiten ändern sich und von daher ist eine Diagnose heute keine „Modeerscheinung“ oder man ist kein „Trittbrettfahrer“, nur weil man mit dem Wissen von Heute  anders und besser damit umgehen kann.
Ich hatte die meiste Zeit in meinem Leben immer jemanden an meiner Seite, der mir bei meinen „Schwierigkeiten“ unbewusst geholfen hat. Anfangs waren es meine Brüder, durch die ich immer beschützt wurde oder meine Cousine, die mir in der Schule zur Seite stand. Auch meine beste Freundin aus Schulzeiten. Sie saß im Unterricht nehmen mir und bot mir Sicherheit, im Unterricht und in den Pausen. Sie begleitete mich durch meine gesamte Schulzeit und auch hinterher noch eine lange Zeit. Wir wurden auch zur gleichen Zeit schwanger und so hatte ich sogar in der Klinik eine vertraute Zimmernachbarin, die mir mit Rat und Tat zur Seite stand. Auch meine Mutter spielte eine wichtige Rolle in meinem Leben. Sie nahm mir Arbeiten ab, die mich teilweise überforderten. War mein Kind krank und musste zum Arzt, so war sie immer dabei. Auch Veranstaltungen im Kindergarten oder in der Schule, sie begleitete mich in dieser für mich schweren Zeit. Spielplätze mochte ich überhaupt nicht, also ging sie mit meinem Kind dort hin und beide hatten ihren Spaß und ich konnte mich in dieser Zeit etwas zurückziehen. Auch bei den Einkäufen begleitete sie mich, sie war einfach immer da, wenn ich sie brauchte, ohne das wir auch nur einmal über meine Schwierigkeiten gesprochen haben. Vielleicht spürte sie oftmals meine Hilflosigkeit, aber sie sagte nie etwas. All dies geschah, ohne dass wir wussten, warum ich Schwierigkeiten in gewissen Lebenslagen hatten. Für meine Brüder, Cousine, beste Freundin oder meine Mutter waren diese Momente selbstverständlich oder „normal“ und ich hatte immer einen vertrauten Menschen an meiner Seite, der mir Sicherheit bot und mich unterstützte. Das habe ich früher aber nie so gesehen, aber ohne diese in meinem Leben wichtigen Menschen hätte ich es wohl nie geschafft.
Von all diesen mir wichtigen Menschen habe ich heute nur noch zu meiner Cousine Kontakt und sie weiß inzwischen auch über mein „anders sein“ Bescheid und unterstützt mich heute bewusst in vielen Lebenslagen. Gibt es wieder mal ein für mich schwieriges unüberwindbares Ereignis, so ist sie für mich da. Manchmal reicht es einfach aus, dass sie mir diesen gewissen Halt und die Sicherheit bietet. Wir sehen uns nicht mehr so oft, schließlich hat jeder seine eigene Familie. Aber sie ruft mich regelmäßig an, kommt mal kurz vorbei und fragt nach, wie es mir geht oder ob sie etwas erledigen kann. Ich melde mich nur bei ihr, wenn ich Hilfe benötige oder mal wieder einen Ratschlag brauche. Aber sie ist mir deswegen nicht böse, da sie ja nun weiß, warum ich mich nicht so oft bei ihr melde.
Im Alltag komme ich inzwischen gut zurecht, wird es mal schwieriger, so sind mein Mann und meine Cousine immer für mich da. Dieser Gedanke beruhigend ungemein und stärkt mich immer wieder. Auch habe ich zwischenzeitlich wieder eine gute Freundin vor Ort gefunden, dank einer Selbsthilfegruppe. Mit ihr kann ich inzwischen über alles Reden und auch sie übernimmt inzwischen Dinge für mich, die ich allein nicht schaffen würde. Freunde habe ich heute wesentlich mehr als früher. Aber die meisten meiner engen Freunde wohnen nicht vor Ort, so dass der meiste Kontakt nur telefonisch oder über Email stattfindet. Dennoch sind dies die wichtigsten Menschen in meinem Leben geworden, neben meiner Familie. Dafür an dieser Stelle auch noch einmal ein ganz dickes Dankeschön. Ohne Euch würde mir etwas ganz besonderes in meinem Leben fehlen.


Montag, 17. Juni 2013

Meine Schulzeit

Nun noch mal etwas zu meiner Schulzeit, die nicht wirklich aufregend war, aber bei mir nun doch immer wieder öfter in den Vordergrund meiner Gedanken rückt, gerade auch, weil ich parallelen zu meinem Sohn entdecke.

Ich gehörte zu der Sorte von Kindern, die unbedingt in die Schule wollten, um Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen. Einen anderen Sinn hatte die Schule für mich eigentlich nicht. Das ganze Zeremoniell der Einschulung verstand ich nicht, es flösste mir sogar Angst ein. Ich fühlte mich überhaupt nicht wohl in meiner Haut. Da sollte ich mir morgens ein Kleidchen anziehen, damit ich auch wie ein richtiges kleines niedliches Schulmädchen aussah. Ich war ja eigentlich immer der Hosentyp und das ist auch bis heute so geblieben. In Kleidern fühlte ich mich nie wohl, aber als Mädchen musste ich halt hin und wieder in diese mir unbequeme Rolle schlüpfen. So auch an diesem Tag. Also gingen wir morgens los mit meinem neuen Ranzen auf dem Rücken, der mich ganz stolz machte und einer gefüllten Schultüte, die ich mit mir rumschleppen sollte. Es ging zur Kirche. Furchtbar, was sollte ich denn in der Kirche lernen? Ich mochte die Kirche nicht, auch sie flösste mir irgendwie Angst ein. Weihnachten ging ich immer gerne in die Kirche, das machte mir auch nichts aus, aber an diesem Tag wirkte sie so groß und ich fühlte mich so klein. Dann musste ich auch noch in der ersten Reihe sitzen, wie alle anderen Schulanfänger auch. Ich mochte es nie, wenn ich im Mittelpunkt stand, und dies war wieder so ein Tag, ein besonderer Tag, in dem man im Mittelpunkt stand, nur damit man endlich in die Schule durfte. Am Ende des Gottesdienstes erhielten alle Schulanfänger noch leuchtende orange-farbende Kopfbedeckungen. Das fand ich cool, bis zu dem Moment, als ich meine Kopfbedeckung erhielt. Die Jungs erhielten alle ein Cap und wir Mädchen ein Kopftuch. Aber ich wollte auch ein Cap und nicht so ein doofes Kopftuch. Der Schuleinstieg fing ja gut an, ich war enttäuscht.
Der erste Schultag war sowieso total enttäuschend. Ich kam zwar mit zwei Kindern in eine Klasse, die ich aus meiner Nachbarschaft kannte und die Lehrerin schien auch sehr nett zu sein, ansonsten war aber alles sehr chaotisch an diesem Tag. Ich lernte ja nichts. Alle anderen freuten sich bei, schließlich wurde in der Schule gefeiert, es gab die Schultüten und wir mussten uns für ein Foto aufstellen. Alles Dinge, die ich nicht mochte, aber über mich ergehen lassen mussten, wie noch vieles mehr in dieser Schulzeit. Ich war die kleinste in meiner Klasse und wurde schon früh deswegen immer wieder aufgezogen. Hinzu kam meine ruhige Art, ich sagte ja auch kaum etwas. Alle hatten schon ihre Freunde gefunden, nur ich nicht. Außer unseren Nachbarsjungen gab es für mich niemanden in der Klasse, der mal mit mir sprach. Ich schreckte jedes Mal zusammen, wenn die Lehrerin meinen Namen aufrief, damit ich auch mal etwas sagen sollte, da meine mündliche Beteiligung sehr zu wünschen übrig lies. Aber ich bekam kaum einen Ton raus. Dies änderte sich auch in den nächsten Jahren nicht. Mündliche Beteiligung war bei mir gleich null.
In der 2. Klasse kam dann ein neues Mädchen in unsere Klasse. Diese kannte ich schon, da sie in die Nachbarschaft meiner Cousine gezogen war. Ich mochte dieses Mädchen auf Anhieb und sie mich wohl auch. Sie wurde meine beste und einzige Freundin, die ich während meiner gesamten Schulzeit hatte. Sie war auch meine Motivation, warum ich mich nach der Grundschulzeit weigerte, auf eine höhere Schule zu gehen. Ich setzte mich gegen meine Eltern durch und blieb auf dieser Schule, die auch einen Hauptschulzweig hatte. Das es nicht nur an dieser Freundin lag, sondern wohl auch an meinen Ängsten, mich an einer anderen Schule wieder neu orientieren zu müssen, das sah ich in diesem Moment ja noch nicht.
Sport war für mich die schlimmste Unterrichtsstunde. Leichtathletik mochte ich relativ gern, aber leider machten wir dies immer relativ selten, halt nur, wenn wieder im Sommer Bundesjugendspiele angesagt waren und wir uns dafür mächtig ins Zeug legen mussten. Ich schaffte es auch immer, eine Urkunde in Leichtathletik mit nach Hause zu bringen. Laufen war mein Ding. Während ich lief, war ich für mich allein, ich sah niemanden anderes um mich herum und ich lief und lief und lief und kam immer mit als erstes ans Ziel. Im Nachhinein erinnert mich mein Laufen immer an Forrest Gump. Ich höre immer wieder diese Stimme: „Lauf Forrest Lauf!“ – Es war mir auch egal, ob wir Marathon liefen, oder Kurzsprint oder sogar Hürdenlauf, Hauptsache ich konnte laufen. Aber leider hatte der Sport nicht nur mit Laufen zu tun. Geräteturnen fand ich noch schlimmer, als die Spiele, die wir immer nach dem Turnunterricht noch machten. Wenn es um Mannschaften auswählen ging. Ich wurde immer als letzte in ein Team gewählt. Ausnahmen gab es nur, wenn meine Freundin mal ein Team auswählen durfte, sie nahm mich immer sofort in ihr Team mit auf. Schlimm fand ich auch immer die Akustik, die eine Sporthalle so mit sich brachte, wenn mehrere Menschen sich darin befanden. Von daher kann ich momentan die Situation meines Sohnes sehr gut nachempfinden, denn er macht dies auch gerade durch. Nur mit dem Unterschied, das er wesentlich beliebter in der Schule ist, als ich es je war.

Pausen waren auch so eine Horrorvorstellung für mich. Das erste Schuljahr war das schlimmste, aber das habe ich ja schon einmal in einem vorherigen Posting geschrieben. Oftmals drückte ich mich in den Pausen, in dem ich „wichtige“ Aufgaben übernahm, die nicht unbedingt beliebt in der Schule waren. Aber so hatte ich die Möglichkeit, mich in den Pausen „zurückzuziehen“. Ich übernahm also den Schülerlotsendienst, oder was noch langweiliger für alle war, ich bewachte den „Kartenraum“. In diesem Raum wurden die ganzen Landkarten verstaut und in den Pausen brachten die Schüler diese Riesenkarten immer wieder zurück bzw. liehen sich diese für die nächste Unterrichtsstunde aus. Ich übergab also immer diese Karten bzw. ordnete sie bei Rückgabe wieder ein und notierte die Daten für den Verleih. Ich absolvierte diese Aufgabe mit einer solchen Gewissheit, dass ich es die ganzen Schuljahre hindurch machen durfte und es zu „meinem Raum“ wurde.  

Den Schulstoff bekam ich gut mit. Dies bereitete mir weniger Schwierigkeiten. Besonders leicht fielen mir die Fächer bzw. der Unterrichtsstoff, der mich interessierte. Aber auch bei den anderen Fächern blieb ich immer im guten Notendurchschnitt. Die Lehrer hatten auch nichts an meinen Arbeiten zu bemängeln, sie wollten mich nur mündlich immer aus der Reserve locken, auch mit Androhungen, wenn ich mich nicht besser mündlich einbringe, würde sich das auf dem Zeugnis bei den Zensuren bemerkbar machen. Und so endete es letztendlich auch, aufgrund meiner mündlichen Verweigerung erhielt ich auf dem Zeugnis immer eine Zensur schlechter.
Die erste Klassenfahrt (welche ich eigentlich gar nicht mitmachen wollte – schließlich durfte meine Freundin daran auch nicht teilnehmen) war auch so ein einschneidendes Erlebnis. Ich konnte mich nicht eingewöhnen, alles war neu, dazu fuhren wir auch noch mit einer zweiten Klasse gemeinsam und die Zimmer waren immer mit 6-8 Schülern zu belegen. Ich war total überfordert. Hatte keine Rückzugsmöglichkeit, keine Ruhe. Es war Stress pur. Während dieser Klassenfahrt musste ich aber dennoch hin und wieder mal herzlich lachen, weil eine Mitschülerin eine herrliche Anekdote erzählte. Ich lachte dermaßen lauf und fand gar kein Ende mehr. Dies fiel auch den Lehrern auf und sie mussten sofort einen für mich dummen Spruch abgeben. Ein Lehrer meinte: „Oh, unsere ... kann ja sogar herzlich lachen und auch reden“. Das haben sie danach wohl nicht mehr bei mir erlebt :-)

Die Schulzeit neigte sich nach der 9. Klasse dem Ende zu und ich musste mich nun entscheiden, wie es weiter gehen soll. Eine Ausbildung kam für mich nicht in Frage, was sollte ich denn werden mit einem qualifizierten Hauptschulabschluss? Eine Verkäuferin, die kaum ein Wort herausbrachte oder eine Friseuse, die mit ihren Kunden nicht kommunizieren konnte/wollte? Nein, das war nicht mein Ziel. Also sprang ich über meinen Schatten und wechselte doch noch auf eine höhere Schule, um zumindest meine mittlere Reife zu erhalten. Dies war natürlich ein großer Fehler. Denn in nur einem Jahr an einer mir vollkommen fremden Schule, mit fremden Mitschülern und fremden Lehrern. Bis ich mich einigermaßen an all diese neuen Umstände gewöhnt hatte, standen auch schon die Prüfungen an. In dieser Zeit hatte ich auch einen gesundheitlichen Aussetzer und fehlte 6 Wochen in der Schule. Meine Noten in diesem Jahr haben alle einen Sprung nach unten gemacht, dennoch sollte eine Vorprüfung bei mir entscheiden, ob ich zum Kolloquium zugelassen werde. Ich versemmelte diese Vorprüfung in Mathe, da meine Lehrerin natürlich nur Aufgaben von mir abverlangte, die ich in meinen versäumten 6 Wochen nicht mitbekam. Die Punkte in allen anderen Prüfungsfächern waren ausreichend, damit ich zugelassen werde, aber diese Arbeit in Mathe hat mich daran gehindert und so sollte ich die Schule verlassen ohne den Abschluss, den ich gebraucht hätte, um an der in dieser Schule angelehnten Gymnasialstufe mich auf mein Abitur vorzubereiten.
Meine Enttäuschung saß tief. Was sollte ich nun machen? Der Arbeitswelt wollte ich eigentlich noch nicht zur Verfügung stehen, es sei denn, ich hätte einen Beruf wählen dürfen, der mir Spaß gemacht hätte und wofür mein Abschluss ausreichend wäre. Aber das durfte ich nicht. Mein Traum war es, in einen damals noch typischen Männerberuf einzusteigen. Ich wollte in eine Tischlerei. Aber das ließ mein Vater nicht zu und so besorgte er mir einen Ausbildungsplatz in einer Anwaltskanzlei. Da gehörten Frauen schließlich auch hin und nicht in ein Handwerk, das nur der Männerwelt zur Verfügung zu stehen hat.
Als der letzte Schultag anstand und allen Schülern feierlich die Schulabschluss-Urkunde überreicht wurde, war mir sehr mulmig zu mute. Rechnete ich doch damit, dass ich die einzige war, die den Abschluss nicht geschafft hatte und somit eventuell auch nicht aufgerufen wird zur Übergabe. Das wiederum hätte mich nicht so gestört, aber die Vorstellung, dass alle tuschelten, weil ich als einzige bei der Übergabe sitzen bleibe, verursachte wieder dieses mulmige Gefühl in der Magengegend. Ich wollte nicht, dass man mich als Looser ansah. Aber auch ich wurde aufgerufen und man Übergab mir mit Gratulationswünschen das Zeugnis. Dieses Zeugnis ignorierte ich komplett, wusste ich ja, dass es „nur“ ein normales Zeugnis war, schließlich konnte ich am Kolloquium ja nicht teilnehmen und somit war die Übergabe bei mir nur ein weiteres Übel. Aber ich war froh, dass man mir dieses Zeugnis genau so überreichte, wie den anderen und ich somit nicht zur „Nullnummer“ bzw. zum Looser auserkoren wurde.
Wenige Tage nach der Zeugnisübergabe brachte ich eine Kopie zu meiner neuen Ausbildungsstelle, damit ich meinen Ausbildungsvertrag unterzeichnen konnte, den meine Eltern ja auch gegenzeichnen mussten, da ich noch nicht volljährig war. In diesem Vertrag stand drin, dass die Ausbildungszeit zweieinhalb Jahre andauert und ich dann nach erfolgreicher Prüfung Rechtsanwalts- und Notargehilfin* bin. Dies korrigierte ich mündlich, in dem ich sagte, dass ich drei Jahre lernen müsse, da ich ja „nur“ einen Hauptschulabschluss habe. Mein zukünftige Chefin schaute sich daraufhin mein Zeugnis an und meinte nur: „Aber sie haben doch die mittlere Reife!“ – Ich sagte nichts weiter und versuchte nur ein Lächeln auf mein Gesicht zu zaubern. Meine Eltern und meine zukünftige Chefin unterschrieben den Vertrag und wir gingen wieder nach Hause. Ich wiederum mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend. Zuhause schaute ich mir mein Zeugnis genauer an. Mir wurde ein „falsches“ Zeugnis ausgestellt. Ohne durch die Prüfungen gegangen zu sein, hatte ich meine mittlere Reife erhalten. Dieser Fehler war der Schule wohl irrtümlich unterlaufen, aber ich habe es nie korrigieren lassen. Schließlich war es das mindeste, was ich auf schulischer Ebene auch verdient habe. Es war der Abschluss, den ich auch erreicht hätte, wenn meine Mathelehrerin mir nicht diese fatalen Aufgaben gestellt hätte. Von daher fand ich in diesem fälschlicherweise ausgestellten Zeugnis eine Art Wiedergutmachung. Für eine Anmeldung in den Gymnasialzweig war es eh schon zu spät, also musste ich notgedrungen diesen für mich ungewollten Beruf erlernen.


* Nach Umstellung der Bezeichnung erhielt ich Jahre später auch eine neue Urkunde, in dem nun als Berufsbezeichnung steht: Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte, damals wurde die Bezeichnung „Gehilfe“ noch sehr häufig benutzt.


Sonntag, 9. Juni 2013

Meine Hände suchen Beschäftigung

Ich habe letztens in einem Forum die Frage einer Mutter gelesen:
„Warum müssen Autisten immer Gegenstände in der Hand halten?“
Jetzt weiß ich nicht genau, ob das wirklich so ist, und ob dies überhaupt etwas mit Autismus zu tun hat, aber bei mir würde dies 1000% zutreffen.
Ich habe sehr lange über diese Frage nachgedacht und sie will einfach nicht mehr aus meinen Gedanken verschwinden. Es ist gerade wie ein Ohrwurm. Immer wieder stelle ich mir diese Frage.  Ich beobachte mich selbst und stelle fest: Ja, ich habe ständig etwas in den Händen. Meine Hände suchen immer nach Beschäftigung.
Es gibt keinen Moment, weder am Tage, noch in der Nacht, das ich keinen Gegenstand in der Hand halte. Es war mir aber auch nie wirklich bewusst, das es so ist bzw. es ist mir noch gar nicht aufgefallen, aber ohne geht gar nicht.
Bin ich zu Fuß unterwegs, so habe ich immer meinen Schlüsselbund in der Hand bzw. habe meine Hand in der Jackentasche und spiele dann mit diesem Schlüsselbund, im Herbst ist es eine Kastanie, die mich in meiner Jackentasche begleitet und mit der ich dann herumspiele. Das habe ich schon immer gemacht und es gibt mir Sicherheit. Ich fühle mich wesentlich sicherer, wenn ich etwas in der Hand halte. Auch beim Telefonieren ist es so. Da ist ein Kugelschreiber mein ständiger Begleiter. Ich muss mir nicht unbedingt etwas während des Telefonates notieren, aber ich halte ihn einfach fest. Obwohl ich ja schon den Hörer in der einen Hand halte, benötigt meine andere Hand dann noch einen Gegenstand, der mir Sicherheit bietet. Wenn ich länger darüber nachdenke, so ist jeder Moment, in dem ich nicht irgendeiner Tätigkeit nachgehe, in der ich eh schon etwas in der Hand halte, wirklich immer irgendetwas, mit dem meine Hände beschäftigt sein müssen. Selbst in der Nacht….da liegt von meinem Sohn immer ein kleiner Teddy in meinem Bett. Er gab ihn mir einmal und sagte, dieser solle mich nachts vor schlimmen Träumen beschützen. Also halte ich diesen kleinen Teddy nachts in meiner Hand. Bisher habe ich es mir immer so erklärt, dass ich mit diesem Teddy einschlafe, da mein Sohn ihn mir ja dort hingelegt hat und dieser mich beschützen soll. Aber ist es nicht eher so, das mein Unterbewusstsein in diesen Momenten, in denen ich im Bett liege mir sagt, du benötigst Sicherheit. Also halte ich den kleinen Teddy fest in meiner Hand. Ich wache morgens auch immer so wieder auf. Normal hätte dieser Teddy ja im Bett liegen können und ich müsste ihm keine Beachtung schenken, aber dem ist ja nicht so.
Egal, wie lange ich jetzt darüber nachdenke und welche Situationen ich mir aus der Vergangenheit noch einmal vorstelle. Ich sehe mich nie mit leeren Händen. Sitze ich am PC, so halte ich die ganze Zeit die Maus fest, wenn ich nicht gerade etwas schreibe. Morgens laufe ich mit einer Tasse Kaffee durch die Gegend, wenn ich nicht gerade den Haushalt mache und in dem Moment sind die Hände ja beschäftigt.
Beim ersten Elternabend meines ältesten Sohnes brachte die Klassenlehrerin einen kleinen Stein mit. Diesen gab sie beim Elternabend herum und jeder, der etwas sagte, hielt in dieser Zeit den Stein und drehte ihn. Dafür war ich damals sehr dankbar. Nicht, weil meine Hände Beschäftigung suchten (dafür habe ich ja einen Stift beim Elternabend mit zum Notieren und diesen halte ich dann die ganze Zeit fest), sondern weil er mir beim Sprechen geholfen hat. Es fällt mir schwer vor vielen Menschen zu reden und ganz besonders vor vielen fremden Menschen. Dieser Stein gab mir in diesem Moment die Sicherheit.
Vielleicht bin ich schon sehr früh zum Raucher geworden, damit meine Hände etwas halten können. Denn es gab Zeiten, da wollte ich unbedingt mit dem Rauchen aufhören. In den Schwangerschaften war das für mich überhaupt kein Problem, aber während der grundlosen „Abgewöhnungszeit“ hatte ich da schon wesentlich mehr Schwierigkeiten. Oftmals erwischte ich mich mit einer Salzstange in der Hand, die mir wohl als „Ersatzzigarette“ diente. Man sagt ja, der Kopf muss frei und willig sein, damit man wirklich aufhören kann mit Rauchen. Bei mir ist es nicht ganz so, denn mein Kopf war frei und willig, aber nicht meine Hände. Ihnen fehlte diese routinierte immer wiederkehrende Beschäftigung. Also fing ich nach kurzen Abgewöhnungszeiten wieder mit dem Rauchen an. Bin ich gut beschäftigt, muss ich auch nicht Rauchen. Aber in Ruhephasen und Stresssituationen könnte ich eine nach der anderen rauchen. Aber das ist ja nun wieder ein anderes Thema, hier geht es ja um meine Hände. Hände, die einfach nicht zur Ruhe kommen wollen.
In besonderen Stresssituation beruhigt es mich einfach, wenn sich meine Hände beschäftigen können und dies geht meistens natürlich nur, wenn ich einen Gegenstand in der Hand halte. Schließlich kann man bei Veranstaltungen ja nicht ständig rumwuseln, damit man selber ruhiger wird. Da reicht mir schon der kleinste Gegenstand, der mir die Sicherheit bietet, die ich in diesem besonderen Moment brauche.
Abends vorm Fernseher ist es meistens die Fernbedienung, die ich dann festhalte. Aber wenn ich mit meinem Sohn gemeinsam fernsehe, dann muss ich ihm die Fernbedienung überlassen. Ich schnappe mir derweil das kleine Sofakissen, welches ich dann an meinen Körper drücke und festhalte. Wahrscheinlich geht es meinem Sohn mit den Händen genauso, aber das habe ich noch nicht so beobachtet. Bei meinem kleinen Autisten ist es leider eher so, das er an seinen Fingernägeln pult. Nachts im Bett macht er es mit den Füßen, da hat er sich auch schon zweimal den kompletten Zehnagel abgepult.

Momente, in denen keine Gegenstände greifbar sind, die gibt es auch. Dann spiele ich oftmals an meinen Ohrringen oder drehe meinen Ring, ziehe ihn ab und setze ihn wieder auf. Oder das Feuerzeug in meiner Tasche. Eigentlich findet sich immer etwas, meinen Händen wird wohl die langweilig, sie suchen einfach eine Beschäftigung und geben mir Sicherheit.


Samstag, 25. Mai 2013

Ein wichtiges Telefonat


Es gibt viele Hürden in meinem Leben, die scheinbar für die meisten Menschen etwas Selbstverständliches ist. Eines von diesen für mich schwer zu überwindenden Hürden ist das Telefonieren. Zumindest, wenn ich meinen Gesprächspartner nicht kenne und ich auch noch anrufen muss. Werde ich angerufen, so habe ich damit weniger Probleme. Zum einen, weil der Teilnehmer am anderen Ende das Gespräch beginnen muss und ich mich noch schnell etwas ordnen kann, bevor ich antworte. Zum anderen will der Anrufer etwas von mir und nicht umgekehrt. Muss ich irgendwo anrufen und ich kenne meinen Gesprächspartner nicht, so mache ich mir tausende von Gedanken im Vorfeld. Angefangen mit den Gedanken, das ich mich erst einmal erklären muss, d.h. nicht nur meinen Namen nennen, was ja nicht wirklich schwierig ist, aber der Gesprächspartner am anderen Ende mit meinem Namen allein ja nichts anfangen kann und weitere Erklärungen meinerseits folgen müssen. Das allein reicht aus, um eine innere Unruhe in mir aufkommen zu lassen. Erst heute hatte ich wieder eines dieser für mich im Vorfeld schwierigen Gespräche. Aber es war wichtig und ich habe mich schon seit Tagen damit verrückt gemacht. Eigentlich ist es überhaupt nicht schlimm, was ich nach jedem Gespräch immer wieder feststellen muss, aber ich schaffe es nicht, mit einer ungezwungenen Leichtigkeit ein Telefonat zu führen. Mit Freunden ja, das fällt mir nicht schwer, aber da muss ich mich ja auch nicht erklären, warum ich anrufe bzw. wer ich bin und was mein derzeitiges Anliegen bezüglich dieses Telefonates ist. Meistens mache ich es schon so, das ich im Vorfeld eine Email schicke, um so einem Telefongespräch aus dem Wege zu gehen bzw. der Emailempfänger dann zurückruft, da es für ihn einfacher und unkomplizierter ist, als eine Email zurückzuschicken. So kann ich viele Gespräche, in denen ich der Anrufer bin, aus dem Wege gehen und es hat mir auch schon gut weitergeholfen. Es geht halt nicht immer, aber es Erleichtert mir die Kommunikation schon ungemein. Ganz schlimm ist es, wenn ich mich endlich durchgerungen habe, dieses Gespräch nun zu führen, nach all meiner dafür notwendigen Vorbereitungszeit und es dann passiert, das der Teilnehmer am anderen Ende nicht abnimmt bzw. ein Besetztzeichen zu hören ist. Danach kann ich nicht sofort wieder anrufen, sondern benötige wieder eine gewisse Anlauf- und Vorbereitungszeit. Das www. ist für Autisten bzw. Verdachtsautisten wirklich ein enormer Fortschritt in Richtung Kommunikation. Dies stelle ich immer wieder aufs Neue fest, wenn ich wieder einmal ein für mich schwieriges Telefonat führen muss.  Es hätte mir in meiner Kindheit, Jugend und im jungen Erwachsenenalter vieles erleichtert und erspart.
Ich kann wirklich lange telefonieren, solange mich das Gesprächsthema interessiert, muss mich manchmal schon selber bremsen, damit ich nicht zu weit aushole und es in einem Endlos-Telefonat führt, wenn nicht immer dieser Anfang eines Telefonates wäre. Eigentlich ist es auch viel unkompliziertes, als eine Email zu schreiben, da man nicht alles erst lange aufschreiben muss, man erhält sofort eine Antwort und muss nicht ständig sein Postfach aufrufen, um zu schauen, ob eine Nachricht eingegangen ist. Nach jedem Telefonat nehme ich mir vor, es beim nächsten Mal ohne große Vorbereitung im Vorfeld zu erledigen, da ich immer wieder aufs neue bestätigt werde nach einem Gespräch, das es überhaupt nicht schlimm ist und am anderen Ende der Leitung auch nur ein Mensch ist. Warum also dieser unnötige Stress, den ich mir antue, warum also diese unnötigen Gedanken, die sich in meinem Kopf im Vorfeld breit machen? Wahrscheinlich ist es einfach, weil man keine Fehler machen möchte, ich zumindest nicht. Zwar kann ich mit Kritik gut umgehen, so lange sie gerechtfertigt ist, aber Fehler, die durch eine dumme Flüchtigkeit hervorgerufen werden, nein, dem möchte ich einfach Vorbeugen. Also muss auch ein Telefonat, das ich führen muss, gut durchdacht sein, damit während des Gespräches keine unnötigen langen Lücken auftauchen. Denn während eines für mich wichtigen Telefonates darf ich auf keinen Fall den Faden verlieren und um dies zu umgehen, liegt während eines Telefonates immer ein Block mit drei Stiften neben mir. Drei Stifte aus dem Grund, falls einer beim schreiben einer wichtigen Notiz seinen Geist aufgibt und ich einen Ersatzstift habe. Der dritte Stift ist wiederum der Ersatzstift des zweiten Stiftes, falls dieser ebenfalls seine Dienste aufgibt, während ich mir meine Notizen mache. Früher habe ich über diese Macke von mir immer selbst lachen müssen, heute weiß ich, das es keine Macke ist, sondern einfach eine Besonderheit, die mir hilft, besser mit der gerade für mich schwierigen Situation klar zu kommen. Und von diesen für mich schwierigen Situationen gibt es halt noch so einige, die mein Leben lange erschwert haben, es teilweise auch immer noch tun, ich aber mit der Zeit gelernt habe, wie ich am besten mit solchen Hürden/Situationen umgehen muss, damit sie für mich durchführbar sind.  

Dienstag, 30. April 2013

Blockaden nach Stress-Situationen


In den letzten Tagen, eigentlich Wochen, habe ich mich so in meine Arbeit gestürzt das ich jetzt gerade eine Phase erreicht habe, wo alles in mir blockiert. Ich mache gerade einen Schritt nach vorn und zwei zurück. Ich kann es nicht anders beschreiben. Ich fühle mich leer, ausgelaugt und dennoch voller Tatendrang, den ich aber gerade nicht ausleben kann.

Vor einiger Zeit haben wir eine Einladung erhalten zum 50. Geburtstag. Eine Feier, die wieder mal in einem größeren Rahmen stattfinden sollte. Aber auch eine Feier, der ich mich nicht wirklich entziehen konnte, da es ein Geburtstag in der Verwandtschaft war und ich mich davor nicht immer nur drücken kann. Weiterhin hatte ich gleich eine Woche später eine Veranstaltung, die ich aufgrund meiner ehrenamtlichen Arbeit organisiert hatte und an den drei kommenden Wochenenden jetzt ist der Terminkalender auch schon voll mit Veranstaltungen und Terminen. Das wiederum ist gerade eine ganz neue Erfahrung für mich, denn so viele Veranstaltungen an fünf Wochenenden fortlaufend, das habe ich noch nie gehabt bzw. mir noch nie freiwillig angetan. Wobei es nicht immer nur Angstvorstellungen vor diesen Veranstaltungen sind, es ist vielmehr der Stress, den ich mir dabei mache. Nach nunmehr zwei dieser Veranstaltungen fühle ich eine innere Leere in mir. Einerseits stehe ich immer noch voller Tatendrang, andererseits blockiert es innerlich und ich komme nicht weiter vorwärts. Ich bewege mich zur Zeit nur auf der gleichen Stelle.

Der Geburtstag verlief besser als erwartet. Wieder mal hatte ich große Bedenken, da die Feier in einem Vereinsheim stattfinden sollte und ich dort noch nie gewesen bin. Die Räumlichkeiten also für mich völlig unbekannt waren und ich mit sehr vielen Gästen gerechnet habe. Da wir unseren Jüngsten mit zu dieser Feier nehmen mussten und wir bei ihm ja wissen, das wir immer überpünktlich irgendwo auflaufen müssen, damit er genug Zeit hat, um sich an die fremde Umgebung zu gewöhnen und er die fremden Leute so nach und nach „aufnehmen“ kann und nicht gleich aufgrund Reizüberflutung die Veranstaltung wieder verlassen muss, waren wir also relativ früh da. Bis die übrigen Gäste eintrafen, hatte also auch ich Zeit, mich mit den Räumlichkeiten anzufreunden. So konnte ich anhand der Stuhlzahl sehen, dass höchstens 40 Gäste erwartet werden. Es verlief alles ruhig und entspannt, die Gäste erschienen nach und nach und kurze Zeit darauf gab es Essen. Ich suchte uns einen ruhigen Außenplatz, so dass wir nahe der Tür sitzen konnten. Auf Musik wurde bewusst und auf Rücksichtnahme auf meinen Sohn verzichtet. Hier und da wurde Smalltalk betrieben, aber ich saß mit meiner Familie leicht abseits, so dass nur neben meinem Mann und unserem ältesten Sohn noch andere Familienmitglieder saßen. Nach dem Essen wurde es dann unruhiger und lauter und mein Sohn fing an zu zittern, als dann auch noch Kopfschmerzen hinzukamen, beschloss ich, mit ihm nach Hause zu fahren. Zuhause angekommen, wollte ich ihm aus dem Auto helfen. Er fieberte heftig. Ich trug ihn ins Haus und war selber froh, diesem Trubel irgendwie entronnen zu sein. Gleichzeitig fiel mir ein, das er plötzlich die gleichen Symptone zeigte wie ich früher, wenn ich mich auf Feiern unwohl gefühlt habe. Auch ich wurde dann immer krank. Er schlief sofort ein und am nächsten Morgen ging es ihm wieder besser.

An diesem Wochenende dann war meine organisierte Informationsveranstaltung. Um mich von meiner inneren Unruhe abzulenken, habe ich mich nur so in Arbeit gestürzt, damit ich keine Zeit hatte, über diesen Abend nachzudenken, mir keine Gedanken machen konnte, was könnte alles passieren. Die Veranstaltung war relativ lang und so voller Eindrücke, das ich noch keine Zeit gefunden habe, dies alles zu verarbeiten. Ich spüre eine innere Blockade, kann keine vernünftigen und klaren Gedanken finden. Ich verspüre totales Chaos im Kopf. Ich fand es auch sehr gelungen, war total begeistert und auch das Feedback war enorm. Ich stand so unter Strom, dass ich die letzten beiden Tage brauchte, um wieder einigermaßen den Alltag einkehren zu lassen. Ich kann derzeit nichts mit mir anfangen, ich spüre ein totales Chaos im Kopf. Ich merke immer öfters, dass mich solche Veranstaltungen im Nachhinein mehr und länger beschäftigen, als im Vorfeld. Da ist es nur die Angst vor dem Neuen und Ungewissen. Im Nachhinein läuft bei mir alles noch einmal ab, es arbeitet im Kopf und das auch in den Nächten, so dass ich kaum Schlaf finde und tagsüber total ausgelaugt bin.
Wahrscheinlich mache ich mir auch viel zu viele Gedanken über Dinge, die für andere wieder mal normal und alltäglich sind und für mich eine Herausforderung bedeuten.
Ich habe in all den Jahren gut gelernt, mit Stress umzugehen, auch wenn es hier oder dort nicht so gut klappt, aber es wird besser. Zumindest bei positivem Stress merke ich dies. Wenn mir eine Sache wirklich wichtig ist und am Herzen liegt, dann mache ich mir diesen positiven Stress, um mich von allen anderen Dingen um mich herum zu befreien und keine Zeit zu finden zum Nachdenken über Dinge, die mir immer schwer zu schaffen machen. Rücken diese Dinge dann aber näher, macht sich negativer Stress in mir auf und damit habe ich so meine Probleme.

Das kommende Wochenende wird sehr stressig, aber es ist positiver Stress und ich hoffe, dass ich anschließend wieder schnell in meinen Alltag zurück finde. Es werden wieder viele neue Eindrücke auf mich zukommen und die Verarbeitung wird wieder einige Zeit in meinem Kopf arbeiten. Ich werde keine Ruhe finden und mich immer wieder nur auf der Stelle bewegen können, mein Alltag ist durch solche Situationen immer stark eingeschränkt und der Kopf blockiert und lässt mir keinen Platz für meine Gedanken. Es herrscht totales Chaos im Kopf. Hilfreich wird sein, das ich dieses gesamte Wochenende mit meiner Familie und ganz lieben Menschen verbringen werden. Menschen, die in meinem Leben inzwischen einen ganz wichtigen Platz eingenommen haben. Menschen, die mich verstehen und so nehmen, wie ich bin. Es wird für mich ein Wochenende ganz frei von Gedanken, denn ich darf dort so sein wie ich bin.

Sonntag, 21. April 2013

Der Weg zur Diagnose F 84.5 - Asperger-Syndrom


Nach unserer gescheiterten Diagnostik in der KJP vor Ort rief ich, nachdem ich mich wieder einigermaßen gefasst hatte, die Amtsärztin vom Gesundheitsamt an, da diese bisher die einzige war, die an meinem Sohn Auffälligkeiten bemerkte und mich ernst nahm. Sie gab mir noch eine weitere Adresse einer hier vor Ort neu niedergelassenen Kinderärztin und eines Kinderpsychologen. Bei diesem Kinderpsychologen stand ich aber bereits seit längerer Zeit auf der Warteliste. Also hieß es erst einmal warten, bis ich einen Termin bekam.
In der Zwischenzeit fing ich an und durchsuchte das Internet. Ich gab alle möglichen Suchbegriffe ein, die mit den Auffälligkeiten meines Kindes etwas zu tun hatten. Immer kam ich wieder auf ein Ergebnis: AD(H)S. Ziemlich viele Punkte passten, aber überzeugt war ich dennoch nicht, denn ich kannte einige AD(H)S-ler und mit denen konnte ich meinen Sohn irgendwie nicht vergleichen.
Im Juni 2010 erhielt ich dann den erlösenden Anruf vom Kinderpsychologen. Endlich hatte ich einen Termin. Bei der neuen Kinderärztin hatte ich mir ebenfalls einen Termin geholt, da ich sowie wechseln wollte, da die anderen KiA mir eh nicht glaubten, obwohl sie eigentlich bei den Vorsorgeuntersuchungen schon Auffälligkeiten hätten sehen müssen. Mein Sohn verweigerte sämtliche Untersuchungen, wehrte sich mit Händen und Füßen, sobald ihn nur irgendjemand aus der Praxis näher kam. Warum also nicht noch einmal den Kinderarzt wechseln. Dann hatte ich wenigstens alle vor Ort durch. Ich bekam relativ schnell einen Termin bei der neuen Kinderärztin. Als ich dort mit meinem Sohn dann pünktlich eintraf, wehrte dieser sich schon wieder heftig beim Hinein gehen. Er hielt sich an den Türrahmen fest und versuchte immer wieder wegzulaufen. Als ich ihn endlich soweit hatte, dass wir an der Anmeldung standen, saßen dort drei Arzthelferinnen, zumindest glaubte ich dies in dem Moment (eine von denen war aber die neue Kinderärztin). Vollkommen durchgeschwitzt von dem Theater meines Sohnes meldete ich uns kurz an und ging dann mit einem an der Anmeldung auf allen Vieren krabbelnden Kind ins Wartezimmer. Kaum das wir uns gesetzt hatten, wurden wir auch schon  aufgerufen. Die Ärztin kam rein, stellte sich kurz vor und ich musste noch erst einmal schmunzeln, hielt ich sie eben doch noch für eine der Arzthelferinnen.
Ich schilderte ihr alles über meinen Sohn, seine Auffälligkeiten, meine Bedenken, auch die Sache mit der KJP. Während ich alles berichtete, hat sich mein Sohn unter meinen Stuhl versteckt und fuchtelte die ganze Zeit an meinen Schuhen herum. Ich schenkte ihm aber kaum Beachtung, da ich merkte, dass die Ärztin mir zuhörte (was ja in der Vergangenheit nicht allzu oft vorkam). Nachdem ich mit den gröbsten Berichten fertig war, sprach diese das erste Mal das Wort Autismus an. In meinem Kopf fing es an zu arbeiten, da ich über Autismus nicht besonders viel wusste. Ich kannte „RainMan“ und die Nachbarin meiner Arbeitskollegin hatte eine kleine Tochter mit frühkindlichen Autismus und diese schaukelte den ganzen Tag immer hin und her. Aber weder in RainMan noch in diesem kleinen Mädchen erkannte ich meinen Sohn. Ich lies sie also erst einmal erzählen und meine Gedanken gingen schon wieder ihre eigenen Wege, denn ich glaubte auch hier nicht an der richtigen Adresse zu sein. Als wir unser Gespräch fast beendet hatten, wies sie mich noch ganz unauffällig auf meine Schuhe hin. Ich schaute nach unten und musste ein wahres Kunstwerk an Knotentechnik entdecken. Während des Gespräches hat mein Sohn aus meinen Schnürbändern ein Knotenmuster erzeugt. Ihr Kommentar dazu: „Auch das ist typisch bei Autisten“. Sie gab mir noch eine Adresse eines guten Schulfreundes von ihr, der sich in einem anderen Bundesland in einer KJP niedergelassen hat und ein „Guru“ auf dem Gebiet „Autismus“ sein sollte. Wenn ich mich entschließen sollte, zwecks Diagnostik dort hinzufahren, dann sollte ich ihr Bescheid geben, damit sie ihren Kollegen schon einmal im Vorfeld informiert und wir nicht wieder so lange Wartezeiten in Kauf nehmen sollten. Aber dennoch riet sie mir noch, auf jeden Fall erst einmal das Gespräch vor Ort bei dem Kinderpsychologen in Angriff zu nehmen. Von diesem hat sie bisher auch nur gutes gehört.

Gesagt, getan. Ich erzählte erst einmal meinen Mann zu Hause von dieser Unterhaltung und meiner Meinung zu dieser Ärztin. Ich fand sie sehr nett und interessiert, auch musste ich ihr hoch anrechnen, dass sie meinen Sohn komplett ignoriert hatte, nicht dieses typische Anreden bzw. Zurechtweisen „Sag mal guten Tag“ oder „Wie heißt du denn?“, etc. Sie hat ihn die ganze Zeit beobachtet, aber in keinster Weise gedrängt, so das mein Sohn keine Angst haben musste und wir sicher eine Chance hatten, dort noch einmal hinzugehen, sollte er einmal krank werden.

Ich googelte mal wieder zum Thema Autismus und bin dabei auf das Asperger-Syndrom gestoßen. Puuh, ich glaubte, in allen Berichten meinen Sohn wieder zu erkennen. Unglaublich.

Sechs Wochen nach diesem Gespräch hatte ich nun, nach 16 Monaten Wartezeit, den Termin beim Kinderpsychologen. Mir war sehr mulmig zu Mute, hatte ich doch wieder dieses ungute Gefühl von dem Arzt aus der KJP in mir. Aber es gab schon einmal einen Vorteil. Dieser Kinderpsychologe bat um das Beratungsgespräch OHNE Kind, genau so, wie ich es schon in der KJP gerne gehabt hätte. Von daher hatte ich hier schon einmal einen Pluspunkt vergeben, bevor ich die Praxis betrat. Ich überlegte, ob ich ihm gleich von dem Verdacht der KiÄ und auch meinem erzählen sollte oder nicht. Ich entschied mich erst einmal dagegen. So schilderte ich noch einmal alles, was ich schon der KiÄ erzählte, der Kinderpsychologe nickte hin und wieder und als ich fertig war, meinte er nur, hört sich sehr nach Autismus an und erklärte mir gleich, das er nun erst einmal das Kind kennenlernen möchte und anschließend schauen, ob man in diese Richtung testen sollte. Eine Woche später erhielt ich einen neuen Termin mit Kind. Seltsamerweise bockte mein Sohn nicht, als wir die Praxis betraten. Er war nur sehr still und anhänglich. Als wir reingerufen wurden, musste ich meinen Sohn auf den Arm nehmen, er wirkte sehr ängstlich. Der Psychologe bat uns Platz zu nehmen und unterhielt sich mit mir über belangsloses Zeug, mein Sohn verkroch sich wieder unter dem Tisch. Dann holte der K.-Psych. ein Memory-Spiel hervor und fragte mich, ob wir es zusammen spielen wollen. Ich sagte „Ja“, da er mir im Vorfeld schon verriet, das er gerne einige Spiele mit mir machen wolle, die mein Sohn gerne spielt, ohne ihn selbst zu fragen, ob er auch mit spielen möchte. Er wollte ihn so aus der Reserve locken, was ihm auch nach gut 30 min. gelungen war. Mein Sohn kam unter dem Tisch hervor, schaute sich die Memory-Karten an, während wir spielten und ohne Aufforderung deckte er gleich einige Paare auf. Als die Stunde vorbei war und der Psych. meinen Sohn nur beobachtete, ohne ihn anzusprechen, gab er mir neue Termine zwecks Diagnostik mit und sehr viele Fragebögen.
Bei den ersten drei Diagnostikterminen musste ich immer mit rein und spielte anfangs einige Gesellschaftsspiele, mein Sohn sprang jedes mal drauf an und so kamen sich die beiden sehr schnell über die Spiele näher. Bereits beim vierten Termin konnte ich im Wartezimmer sitzen bleiben. Da wusste ich, hier bist du richtig, hier ist dein Sohn gut aufgehoben. Wir fühlten uns wohl und wussten, das wir hier richtig waren. Nach nur drei Monaten hatten wir die Diagnose schwarz auf weiß, die Auffälligkeiten unseres Sohnes hatten endlich einen Namen: F 84.5 – Asperger-Syndrom.
Unser Sohn erhielt Verhaltenstherapien und wir Eltern-Therapie, damit wir lernen konnten, besser auf unseren Sohn einzugehen und ihn verstehen. Während der Eltern-Therapiestunden wurde mir plötzlich immer bewusster, wie viel mir diese Therapiestunden selbst brachten und wie bewusst mir plötzlich einige Dinge an mir selbst auffielen. Zum ersten Mal kam auch bei mir der Verdacht, ob das vielleicht auch mein Anderssein erklären könnte. Aber diesen Gedanken schob ich irgendwie im Unterbewusstsein erst einmal beiseite, denn jetzt wollte ich so viel als möglich über Autismus wissen und fing an, mich im WWW durchzuforsten. Langweilig sollte mir ab dieser Zeit nie mehr werden J
Dank der Verhaltenstherapie unseres Sohnes und unserer Elterntherapie plus dem bis dato von mir zusammengelesenen, begann sich bei uns familiär wieder alles positiver zu entwickeln. Mit Ausnahme von sehr kleinen und wesentlich seltener Wutanfälle machten wir jeden Tag neue Fortschritte. Und diese Fortschritte machte nicht nur unser Sohn, nein, hauptsächlich wir als Eltern lernten jeden Tag neu dazu und konnten so besser auf unseren Sohn eingehen und ihn verstehen. Von nun an sollte es bergauf gehen.


Sonntag, 14. April 2013

Unsere Familie vor der Diagnose F84.5



Inzwischen ist alles so normal bei uns in der Familie, dabei ist es noch gar nicht so lange her, da glaubte ich, die Hölle auf Erden zu haben. Schon seltsam, was eine Diagnose alles verändern kann. Bei uns hat sie unser Leben verändert, positiv verändert. Früher gehörten Wutausbrüche bei unserem Sohn zum normalen Tagesablauf, man konnte fast schon die Uhr nach stellen. Gereizt waren alle bei uns, freundliche Wörter kamen kaum noch über die Lippen. Gegenseitige Vorwürfe, Tränen der Verzweiflung, ein ständig schreiendes und verweigerndes Kind, Stress, alles war vorhanden, nur keine Ruhe, kein richtiger Familienzusammenhalt, keine glückliche Familie. Dabei fing alles so harmonisch und glücklich an.

Ich kenne meinen Mann schon aus Kindheitstagen, wir wohnten in der selben Straße. Aber als Kinder haben wir nie zusammen gespielt. Erst im jungen Erwachsenenalter haben wir so langsam Kontakt zueinander gefunden. Es entwickelte sich eine super Freundschaft. Wir haben uns anfangs nie oft gesehen, aber irgendwie hatten wir einen Draht zueinander und jeder wusste vom anderen, das er für einen da ist, wenn wir einander brauchten. So war es dann auch, als ich eines Abends den Sohn meiner Freundin bei mir hatte, damit sie mal ausgehen konnte. Ich hütete derweil unsere beiden Kinder zu Hause. Dann klingelte es und mein „Mann“ kam zu Besuch. Kurze Zeit später wurden beide Kinder kurz hintereinander wach, sie waren damals 6 Monate und 1 ½ Jahre alt. Mein Besuch nahm mir sofort und wie selbstverständlich ein Kind ab und kümmerte sich drum, bis es wieder eingeschlafen war. In diesem Moment betrachtete ich meinen „Mann“ zum ersten Mal nicht nur als guten Freund, sondern stellte mir auch vor, wie es wäre, wenn wir so eine kleine perfekte Familie hätten. Aber es blieb halt bei einer sehr guten Freundschaft. Das Lied von Klaus Lage „1000 Mal berührt, 1000 mal ist nichts passiert“ passte wohl wunderbar auf uns zu, denn wir kamen wirklich erst 9 Jahre später fest zusammen.

Da mein Mann in der Zwischenzeit auch schon eine gerade gescheiterte Ehe hinter sich hatte, aus denen 2 Kinder hervorgegangen sind und ich ja alleinerziehend war mit meinem inzwischen fast 10jährigen Sohn, waren wir von diesem Moment eine perfekte Patchwork-Family. Die Kinder untereinander verstanden sich prima und auch wir kamen gegenseitig super mit den Kindern des anderen aus. Alles war perfekt. Wir waren einfach nur glücklich und waren uns beide einig, das eine Ehe nicht in Frage kommt und auf keinen Fall ein weiteres Kind.

Manchmal kommt es anders als man denkt. Nach vier Jahren wurde ich dann doch ungewollt schwanger. Nun, wir bekamen also ein nicht geplantes/gewolltes, aber doch erwünschtes gemeinsames Kind. Aufgrund meines Alters riet der Arzt mir zu einer Fruchtwasseruntersuchung, der ich einwilligte. Eigentlich war mir das Ergebnis total egal, aber ich wünschte mir so sehr noch einen Jungen und von daher konnte ich das Ergebnis dieser Fruchtwasseruntersuchung kaum abwarten. Als der erlösende Brief endlich eintraf, traute ich erst gar nicht, ihn zu öffnen. Zum Glück siegt bei mir oftmals die Neugier. Ein Junge!!! Ich schrie durchs ganze Haus vor Freude. Wir waren einfach nur glücklich – obwohl wir uns wohl über eine Tochter genau so gefreut hätten.

Die Schwangerschaft verlief aus meiner Sicht einfach nur furchtbar. Anfangs mit den typischen Übelkeiten, denen ich mich gute 3 Monate hingeben musste. Dann kamen schon kurze Zeit später Schmerzen während den normalen Bewegungen. Nach einer Untersuchung wurde festgestellt, dass sich einige Wirbel bei mir ausgerenkt hatten. Dazu musste ich zu einer Sportärztin, die sich mit einrenken während einer Schwangerschaft gut auskannte, da man dies nicht einfach mal so machen sollte. Ich wurde während der gesamten Schwangerschaft Stammpatient bei ihr. Nach einer weiteren Untersuchung wurde festgestellt, dass sich mein Becken ebenfalls verschoben hatte. Der Unterschied von der rechten zur linken Beckenseite lag bei 5 cm. Jeder Gang schmerzte, ich wurde bis auf weiteres krankgeschrieben, denn so konnte ich nicht arbeiten.
Als dann endlich die Wehen einsetzten mit gut 10 Tagen nach dem errechneten Termin, fuhr mein Mann mich ins Krankenhaus. Die Wehen kamen inzwischen regelmäßig in 5-minütigen Abständen, aber der Wehenschreiber zeigte nichts dergleichen an. Als endlich eine Untersuchung angeordnet wurde, stellte man fest, das der Muttermund bereits 8 cm auf war und trotz der fehlenden Wehen am Wehenschreiber die Geburt langsam vorbereitet werden sollte. Langsam….ich glaubte mich zu verhören. Als man mich in den Kreissaal brachte, hatte ich bereits Wehen im Abstand von 3 Minuten und endlich zeigte auch der Wehenschreiber mal etwas an. Gerade als der Arzt noch einmal schauen wollte, wie weit der Muttermund nun geöffnet war, platzte meine Fruchtblase und das ganze Wasser lief raus. Im nächsten Moment hatte ich auch schon die erste Presswehe. Kaum hatte ich diese schmerzvoll überstanden, bat ich um eine PDA (Peridualanästhesie). Diese wurde abgelehnt, genauso wie andere schmerzlindernde Mittel. Es machte sich bereits die nächste Presswehe bemerkbar, also der Arzt plötzlich sagte, „nicht pressen – schön durchhalten, nur nicht pressen“. Gut gesagt, er war ja nicht in meiner Lage, ich wollte aber pressen und dieses Kind endlich in die Freiheit entlassen. Kaum waren die Worte vom Arzt ausgesprochen, verschwand dieser auch mit Hebamme und Schwester und ich war ganz allein mit meinem Mann im Kreissaal. Es kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor, bis endlich ein ganzes Ärzteteam einschließlich Narkosearzt wieder hereinkamen. Ich verstand kaum, wovon alle redeten, da mich der Schmerz so in seiner Gewalt hatte, dass ich fast taub war. Der Narkosearzt versuchte mit mir ein Aufklärungsgespräch zu führen. Ich wollte einfach nur noch, das endlich alles vorbei ist und so schoben sie mich schnell in den OP zwecks Vollnarkose und Kaiserschnitt.

Nachdem ich wieder zu mir kam, wurde mir kurz noch einmal erläutert, warum so plötzlich und unerwartet der Kaiserschnitt eingeleitet werden musste. Es gab eine Geburtskomplikation: Geburtsstillstand in der Eröffnungsphase. Zum Glück ist alles gut gegangen. Mein Sohn war wohlauf. Während der OP ist den Ärzten zwar noch ein kleiner Fehler unterlaufen, sie haben wir die Blase mit aufgeschnitten, so dass ich 4 Tage mit einem Urinbeutel umherlaufen musste. Aber das war während des Krankenhausaufenthaltes wohl das kleinste Übel. Mein Kind schrie nur, es war kaum zu beruhigen. Brust anlegen war schier unmöglich und so blieb es natürlich nicht aus, dass ich am dritten Tag einen Milchstau hatte. Dank der totalen Überforderung der Krankenschwestern wurde dies trotz mehrfachen Hinweises von mir nicht behandelt. So kamen aufgrund eines schreiendes Kindes, der Schmerzen des Milchstaus, eines Kindes, dass 2 Stunden nicht auffindbar war (waren wohl die schlimmsten 2 std. meines Lebens) auch noch Wochenbettdepressionen hinzu. Alles war perfekt. Nach 5 Tagen habe ich mich auf eigene Verantwortung aus der Klinik entlassen. Ich suchte sofort meine Gynäkologin auf, damit sie mich behandeln konnte. Der Milchstau war bereits so akut, das sie mir nur noch raten konnte, abzustillen. Und das, bevor ich eigentlich so richtig angefangen habe zu stillen. Erst Kaiserschnitt, dann kein Stillen, wie sollte ich eine erste feste Bindung zu meinem Kind aufbauen. Meine Ängste kamen wieder, die ich bei meinem ersten Sohn schon hatte, aber hier fehlten diesmal jegliche Gefühle in mir. Nachdem ich kurze Zeit später von meinen Schmerzen befreit war, konnte ich mich dann aber doch etwas intensiver um meinen Sohn kümmern und ich merkte schon beim Anblick, das ich dieses Kind ebenso lieben könnte, wie meinen Erstgeborenen. Aber der Stress zuhause lies nicht nach. Er war nur am schreien, schlafen war für ihn ein Fremdwort. Er schaffte es mehrmals täglich für ca. 20 min., leider verliefen so auch die Nächte. Das Trinken mit der Flasche war genauso kompliziert, wie anfangs das Anlegen an der Brust. Auch wenn wir ihn auf den Arm nehmen wollten, damit er mal etwas weniger schrie, wir erreichten damit das Gegenteil. Meine Nerven lagen schon fast blank. Selbst das Windel wechseln und an- und auskleiden, immer nur mit Geschrei. Der Kinderarzt konnte nichts feststellen. Eines Tages, ich war mal wieder dabei, die Flasche zu verabreichen, da klingelte das Telefon. Ich legte meinen Sohn aufs Sofa, gab ihn mit einer Hand die Flasche und mit der anderen ging ich ans Telefon. Plötzlich trank er. Er trank so dermaßen schnell, das man glauben konnte, er wäre ausgehungert. Zur nächsten Flaschenzeit probierte ich wieder diese Lage  des Flaschen gebens aus und was soll ich sagen: Lag er auf dem Sofa und ich gab ihm einfach so teilnahmlos die Flasche, dann trank er. Sobald er in meinem Arm lag beim Flasche geben, gab es nur Geschrei. Beim Wickeln versuchte ich dann auch, die typischen Babyspielereien beiseite zu legen und ihn einfach kurz und knapp auszuziehen, Windel wechseln, sauber machen, anziehen. Supi. Nun hatte ich ein Kind, dem man kein Lächeln abgewinnen konnte, kein Blickkontakt mit uns hielt, keine Nähe wollte. Ich gab natürlich diesem Kaiserschnitt mit all den Komplikationen die Schuld, denn ich hatte ja keine Möglichkeit, richtige Wärme bzw. eine richtige Bindung mit meinem Kind aufzubauen.
Sobald mein Mann von der Arbeit kam, nahm er mit den Jungen ab, ging mit ihm Spazieren, damit ich ein wenig Schlaf nachholen konnte. Aber natürlich hielten diese Spaziergänge keine Ewigkeit.  Meine Nerven lagen blank und das lies ich natürlich an meinem Mann aus. Blieb ja nicht aus.

Zwei Jahre nach der Geburt unseres Sohnes beschlossen wir zu heiraten. Ob die Idee zu diesem Zeitpunkt gut war, wußte ich nicht, da unsere Beziehung durch unseren Sohn einen totalen Knackpunkt erreicht hatte.
Unser Sohn wurde älter, aber seine Art wurde für uns fast unerträglich. Diese Zustände sprach ich immer wieder beim Kinderarzt an, aber man wurde ja nur mit „das sind nur Phasen“ oder „sie müssen sich besser durchsetzen und die Sanktionen verschärfen“ vertröstet. Ich wechselte in dieser Zeit drei Mal die Kinderärzte, langsam hatten wir hier kaum noch Auswahl, aber von allen hörte ich immer nur das gleiche.
Im Sommer, kurz vor seinem 3. Geburtstag, tobte er mal wieder quer durchs Wohnzimmer. Ich ging raus, um eine zu rauchen, meine Nerven lagen mal wieder blank. Mein Mann hatte Spätschicht und war nicht daheim. Plötzlich ein lautes Geschrei. Ich lief ins Wohnzimmer und sah schon überall das Blut. Es lief meinem Sohn vom Kopf und verteilte sich überall. Ich schrie nur laut los, was meinen ältesten Sohn alamierte. Während ich den Kleinen auf den Arm nahm und Richtung Badezimmer lief um die Wunde mit Kompressen etwas zu lindern, lief mein Großer zur Nachbarin rüber. Diese kam auch sofort und wir führen in die Klinik. Dort angekommen war ich bereits blutüberströmt. Zwei Schwestern kamen mir sofort entgegen, wollten mir den Jungen abnehmen, damit sie mich „verarzten“. Habe den Irrtum schnell aufgeklärt und mein Sohn wurde sofort verarztet. Seine Platzwunde am Kopf wurde geklammert und wir durften nach 1 Stunde wieder das Krankenhaus verlassen. Man gab mir noch schmerzlindernden Saft mit. In der Zwischenzeit hat mein ältester Sohn meinen Mann informiert und dieser traf zeitgleich mit uns zuhause ein. Unser Sohn regte sich kaum. Wir glaubten immer noch an einen Schock. Als ich ihm den Saft geben wollte, verweigerte er diesen. Das kannten wir vorher nicht. Er sprach kaum noch. Irgendwie zog er sich zurück.
Wieder suchte ich einen Kinderarzt auf und bat um Überweisung ins SPZ. Diese Überweisung wurde mir verweigert, da er sich normal entwickelte und alles andere, lt. Aussage der Kinderärztin nur „Phasen“ seien. Ich konnte es nicht mehr hören. Ich war mir sicher, er zeigte Verhaltensauffälligkeiten, wieso glaubte mir keiner.
Er redete nur noch das notwendigste zuhause, aber meistens schrie er. Er spielte anders. Er fing an seine Autos immer in der gleichen Anordnung aufzustellen. Dies machte er auch mit seinen Stöcken, die er draußen sammelte oder mit Steinen. Das war seine Art zu spielen.
Seine Wutausbrüche wurden schlimmer, so dass ich eines Tages (es war an seinem 3. Geburtstag) meine Geduld verlor. Wir hatten bereits die Geburtstagsgäste im Haus, es war relativ laut und unser Sohn fing an, mit Gegenständen auf uns und auf die Gäste zu schlagen. Da zog ich meinen Latschen aus und schlug zu. Es war wohl der schlimmste Moment im meinem Leben. Ich habe meinen Sohn auf eine Art geschlagen, dass mein Mann mich bremsen musste. Als ich mich wieder sortiert hatte, rief ich sofort das Jugendamt an. Ich schilderte die Situation und bat um Hilfe, da ich nicht wusste, wie lange ich mich weiterhin unter Kontrolle behalte und ich wollte meinem Sohn vor mir selber schützen. Auch hatte ich schon zwei Monate zuvor bei einem Kinderpsychiater angerufen. Dort stand ich auf der Warteliste. Als die Dame vom Jugendamt hörte, dass ich bereits auf der Warteliste stehe, sagte sie nur „dann sind sie in guten Händen, wird schon alles werden“. Das war es. Was wird denn werden? Schalten die sich erst ein, wenn man sich nicht mehr unter Kontrolle hat und sein Kind totgeschlagen hat? Ich begriff die Welt nicht mehr. Diese ganzen Vorfälle fanden immer nur zuhause statt. Gingen wir irgendwo mit unserem Sohn hin, war er das liebste Kind. Er saß auf unserem Schoß bzw. daneben, sagte nichts, schrie nicht, kuschelte sich immer bei uns an, so das wir diese Zeit mit unserem Sohn genossen. Es passierte auch oft, das er plötzlich anfing zu fiebern oder zu zittern, wenn wir wieder irgendwo fremd waren. Dann musste ich kurze Zeit später immer mit ihm nach Hause. Dies beunruhigte mich aber weniger, da ich das von mir als Kind ja auch kannte. Die Leute sahen also immer nur einen ganz lieben und ruhigen Jungen, wenn wir irgendwo waren, unseren Erzählungen, dass er zuhause der Teufel in Person ist, glaubte uns niemand.
Kurz nach seinem 3. Geburtstag kam er dann in den Kindergarten. Mir graute davor. Ich sah ihn schon förmlich an mir kleben und hörte sein Geschrei, wenn ich den KiGa verlasse. Aber nichts von dem traf ein. Er lies alles über sich ergehen, wie mit einer Puppe. Ich konnte gehen, ohne dass er auch nur eine Regung zeigte. Im Kindergarten sprach er nicht. Er spielte dort für sich, malte oder puzzelte. Wenn ich ihn abholte, spielte er oder saß irgendwo. Die Erzieher trösteten mich, da er noch relativ jung sei und alles andere würde mit der Zeit schon kommen. Aber es kam nichts. Nur, wenn ich ihn abholte und die Kindergartentür hinter uns zu ging, platzte plötzlich alles aus ihm raus. Er bekam einen Tobsuchtanfall. Man konnte die Uhr nach stellen, immer beim Abholen. Dieser hielt meist an, bis wir zuhause waren. Manchmal kam dann auch schon wieder der Nächste. Ich glaubte, es läge an mir. Scheinbar fühlte er sich im KiGa wohl, aber nicht zuhause.
Dann stand die Vorschuluntersuchung im KiGa für die Vierjährigen an. Unser Sohn verweigerte auch diese Untersuchung. Die Amtsärztin bat um ein Gespräch und glaubte an Angstzuständen. Nach meinen ganzen Schilderungen meinte sie, es wäre gut, wenn ich einen Psychiater aufsuchen würde. Zumindest glaubte sie meinen Schilderungen. Dafür war ich ihr schon einmal dankbar. Kurze Zeit später erhielt ich dann einen Anruf vom KJP. Endlich hatte ich einen Termin und dieser dauerte auch nur noch eine Woche. Ich glaubte mich am Ziel, aber es sollte noch schlimmer kommen.
Zum ersten Termin sollte ich mein Kind mitbringen. Eigentlich wollte ich gerne erst einmal ein Gespräch unter vier Augen führen, aber das wurde abgelehnt. Also fuhr ich mit Kind zum KJP. Ich musste ein Formular ausfüllen und anschließend wollten sie meinen Sohn messen und wiegen. Er verweigerte. Zwei Arzthelferinnen schnappten ihn und stellten ihn auf die Waage. Er wehrte sich und sprang sofort wieder runter. Ich nahm ihn auf den Arm. Im Besprechungszimmer verkroch er sich sofort unter den Tisch. Der Arzt flösste mir irgendwie ein mulmiges Gefühl ein, ich schob es auf meine Nervösität. Mein Kleiner störte das Gespräch, wie er es immer macht, wenn er mitbekommt, das ich über ihn spreche. Er trat gegen den Tisch und den Stuhlbeinen. Der Psychiater zog ihn unter dem Tisch hervor und setzte ihn mit einem Hau-Ruck auf einen Stuhl, hielt ihn an den Armen fest und sagte: „Hier bleibst du jetzt sitzen!“ Die Art fand ich so was von daneben. Als eine weitere Unterhaltung aufgrund der Störungen von meinem Sohn nicht möglich war, beendete der Psychiater die Besprechung, übergab mir sehr viele Fragebögen und gab mir Termine zur Diagnostik. Ich verlies die Praxis und musste erst einmal tief durchatmen. Ich fühlte mich nicht wohl, aber da musste ich jetzt durch. Zum ersten Diagnostiktermin brachte ich die ausgefüllten Fragebögen wieder mit. Nach 10 min. wurde der Diagnostiktermin abgebrochen aufgrund Verweigerung meines Kindes. Ich erhielt einen neuen Termin zur Besprechung (allein). Als ich zwei Tage später wieder die Praxis betrat und ich zum Psychiater gebracht wurde, teilte er mir folgendes mit: „Eine Diagnostik ist unmöglich, ihr Sohn verweigert alles (nach 10 min.!). Nach Auswertung der Fragebögen komme ich zu dem Resultat, das ihr Sohn an einer angeborenen Kindheitsdepression leidet. Zur weiteren Diagnostik gebe ich ihnen eine Überweisung in die KJP…… zur vollstationären Aufnahme“. Ich war empört. Ich nahm die Überweisung, zerriss diese vor den Augen des Arztes und sagte nur: „Mich sehen sie hier nicht wieder“. Damit verließ ich die Praxis, bereits mit total verweinten Augen. Wer sollte mir jetzt noch helfen?

Mein Kampf begann. Der Kampf um meinen Sohn. Der Kampf meines Lebens. Ich war noch nie eine Kämpferin, dazu bin ich nicht geboren. War ich doch immer der stille, zurückhaltene Typ, der kaum den Mund aufmachte und alles immer nur schluckte. Nun sollte sich alles ändern….für meinen Sohn….für meine Familie.

Alles weitere später im nächsten Post „Unser Weg zur Diagnose“.