Dienstag, 30. April 2013

Blockaden nach Stress-Situationen


In den letzten Tagen, eigentlich Wochen, habe ich mich so in meine Arbeit gestürzt das ich jetzt gerade eine Phase erreicht habe, wo alles in mir blockiert. Ich mache gerade einen Schritt nach vorn und zwei zurück. Ich kann es nicht anders beschreiben. Ich fühle mich leer, ausgelaugt und dennoch voller Tatendrang, den ich aber gerade nicht ausleben kann.

Vor einiger Zeit haben wir eine Einladung erhalten zum 50. Geburtstag. Eine Feier, die wieder mal in einem größeren Rahmen stattfinden sollte. Aber auch eine Feier, der ich mich nicht wirklich entziehen konnte, da es ein Geburtstag in der Verwandtschaft war und ich mich davor nicht immer nur drücken kann. Weiterhin hatte ich gleich eine Woche später eine Veranstaltung, die ich aufgrund meiner ehrenamtlichen Arbeit organisiert hatte und an den drei kommenden Wochenenden jetzt ist der Terminkalender auch schon voll mit Veranstaltungen und Terminen. Das wiederum ist gerade eine ganz neue Erfahrung für mich, denn so viele Veranstaltungen an fünf Wochenenden fortlaufend, das habe ich noch nie gehabt bzw. mir noch nie freiwillig angetan. Wobei es nicht immer nur Angstvorstellungen vor diesen Veranstaltungen sind, es ist vielmehr der Stress, den ich mir dabei mache. Nach nunmehr zwei dieser Veranstaltungen fühle ich eine innere Leere in mir. Einerseits stehe ich immer noch voller Tatendrang, andererseits blockiert es innerlich und ich komme nicht weiter vorwärts. Ich bewege mich zur Zeit nur auf der gleichen Stelle.

Der Geburtstag verlief besser als erwartet. Wieder mal hatte ich große Bedenken, da die Feier in einem Vereinsheim stattfinden sollte und ich dort noch nie gewesen bin. Die Räumlichkeiten also für mich völlig unbekannt waren und ich mit sehr vielen Gästen gerechnet habe. Da wir unseren Jüngsten mit zu dieser Feier nehmen mussten und wir bei ihm ja wissen, das wir immer überpünktlich irgendwo auflaufen müssen, damit er genug Zeit hat, um sich an die fremde Umgebung zu gewöhnen und er die fremden Leute so nach und nach „aufnehmen“ kann und nicht gleich aufgrund Reizüberflutung die Veranstaltung wieder verlassen muss, waren wir also relativ früh da. Bis die übrigen Gäste eintrafen, hatte also auch ich Zeit, mich mit den Räumlichkeiten anzufreunden. So konnte ich anhand der Stuhlzahl sehen, dass höchstens 40 Gäste erwartet werden. Es verlief alles ruhig und entspannt, die Gäste erschienen nach und nach und kurze Zeit darauf gab es Essen. Ich suchte uns einen ruhigen Außenplatz, so dass wir nahe der Tür sitzen konnten. Auf Musik wurde bewusst und auf Rücksichtnahme auf meinen Sohn verzichtet. Hier und da wurde Smalltalk betrieben, aber ich saß mit meiner Familie leicht abseits, so dass nur neben meinem Mann und unserem ältesten Sohn noch andere Familienmitglieder saßen. Nach dem Essen wurde es dann unruhiger und lauter und mein Sohn fing an zu zittern, als dann auch noch Kopfschmerzen hinzukamen, beschloss ich, mit ihm nach Hause zu fahren. Zuhause angekommen, wollte ich ihm aus dem Auto helfen. Er fieberte heftig. Ich trug ihn ins Haus und war selber froh, diesem Trubel irgendwie entronnen zu sein. Gleichzeitig fiel mir ein, das er plötzlich die gleichen Symptone zeigte wie ich früher, wenn ich mich auf Feiern unwohl gefühlt habe. Auch ich wurde dann immer krank. Er schlief sofort ein und am nächsten Morgen ging es ihm wieder besser.

An diesem Wochenende dann war meine organisierte Informationsveranstaltung. Um mich von meiner inneren Unruhe abzulenken, habe ich mich nur so in Arbeit gestürzt, damit ich keine Zeit hatte, über diesen Abend nachzudenken, mir keine Gedanken machen konnte, was könnte alles passieren. Die Veranstaltung war relativ lang und so voller Eindrücke, das ich noch keine Zeit gefunden habe, dies alles zu verarbeiten. Ich spüre eine innere Blockade, kann keine vernünftigen und klaren Gedanken finden. Ich verspüre totales Chaos im Kopf. Ich fand es auch sehr gelungen, war total begeistert und auch das Feedback war enorm. Ich stand so unter Strom, dass ich die letzten beiden Tage brauchte, um wieder einigermaßen den Alltag einkehren zu lassen. Ich kann derzeit nichts mit mir anfangen, ich spüre ein totales Chaos im Kopf. Ich merke immer öfters, dass mich solche Veranstaltungen im Nachhinein mehr und länger beschäftigen, als im Vorfeld. Da ist es nur die Angst vor dem Neuen und Ungewissen. Im Nachhinein läuft bei mir alles noch einmal ab, es arbeitet im Kopf und das auch in den Nächten, so dass ich kaum Schlaf finde und tagsüber total ausgelaugt bin.
Wahrscheinlich mache ich mir auch viel zu viele Gedanken über Dinge, die für andere wieder mal normal und alltäglich sind und für mich eine Herausforderung bedeuten.
Ich habe in all den Jahren gut gelernt, mit Stress umzugehen, auch wenn es hier oder dort nicht so gut klappt, aber es wird besser. Zumindest bei positivem Stress merke ich dies. Wenn mir eine Sache wirklich wichtig ist und am Herzen liegt, dann mache ich mir diesen positiven Stress, um mich von allen anderen Dingen um mich herum zu befreien und keine Zeit zu finden zum Nachdenken über Dinge, die mir immer schwer zu schaffen machen. Rücken diese Dinge dann aber näher, macht sich negativer Stress in mir auf und damit habe ich so meine Probleme.

Das kommende Wochenende wird sehr stressig, aber es ist positiver Stress und ich hoffe, dass ich anschließend wieder schnell in meinen Alltag zurück finde. Es werden wieder viele neue Eindrücke auf mich zukommen und die Verarbeitung wird wieder einige Zeit in meinem Kopf arbeiten. Ich werde keine Ruhe finden und mich immer wieder nur auf der Stelle bewegen können, mein Alltag ist durch solche Situationen immer stark eingeschränkt und der Kopf blockiert und lässt mir keinen Platz für meine Gedanken. Es herrscht totales Chaos im Kopf. Hilfreich wird sein, das ich dieses gesamte Wochenende mit meiner Familie und ganz lieben Menschen verbringen werden. Menschen, die in meinem Leben inzwischen einen ganz wichtigen Platz eingenommen haben. Menschen, die mich verstehen und so nehmen, wie ich bin. Es wird für mich ein Wochenende ganz frei von Gedanken, denn ich darf dort so sein wie ich bin.

Sonntag, 21. April 2013

Der Weg zur Diagnose F 84.5 - Asperger-Syndrom


Nach unserer gescheiterten Diagnostik in der KJP vor Ort rief ich, nachdem ich mich wieder einigermaßen gefasst hatte, die Amtsärztin vom Gesundheitsamt an, da diese bisher die einzige war, die an meinem Sohn Auffälligkeiten bemerkte und mich ernst nahm. Sie gab mir noch eine weitere Adresse einer hier vor Ort neu niedergelassenen Kinderärztin und eines Kinderpsychologen. Bei diesem Kinderpsychologen stand ich aber bereits seit längerer Zeit auf der Warteliste. Also hieß es erst einmal warten, bis ich einen Termin bekam.
In der Zwischenzeit fing ich an und durchsuchte das Internet. Ich gab alle möglichen Suchbegriffe ein, die mit den Auffälligkeiten meines Kindes etwas zu tun hatten. Immer kam ich wieder auf ein Ergebnis: AD(H)S. Ziemlich viele Punkte passten, aber überzeugt war ich dennoch nicht, denn ich kannte einige AD(H)S-ler und mit denen konnte ich meinen Sohn irgendwie nicht vergleichen.
Im Juni 2010 erhielt ich dann den erlösenden Anruf vom Kinderpsychologen. Endlich hatte ich einen Termin. Bei der neuen Kinderärztin hatte ich mir ebenfalls einen Termin geholt, da ich sowie wechseln wollte, da die anderen KiA mir eh nicht glaubten, obwohl sie eigentlich bei den Vorsorgeuntersuchungen schon Auffälligkeiten hätten sehen müssen. Mein Sohn verweigerte sämtliche Untersuchungen, wehrte sich mit Händen und Füßen, sobald ihn nur irgendjemand aus der Praxis näher kam. Warum also nicht noch einmal den Kinderarzt wechseln. Dann hatte ich wenigstens alle vor Ort durch. Ich bekam relativ schnell einen Termin bei der neuen Kinderärztin. Als ich dort mit meinem Sohn dann pünktlich eintraf, wehrte dieser sich schon wieder heftig beim Hinein gehen. Er hielt sich an den Türrahmen fest und versuchte immer wieder wegzulaufen. Als ich ihn endlich soweit hatte, dass wir an der Anmeldung standen, saßen dort drei Arzthelferinnen, zumindest glaubte ich dies in dem Moment (eine von denen war aber die neue Kinderärztin). Vollkommen durchgeschwitzt von dem Theater meines Sohnes meldete ich uns kurz an und ging dann mit einem an der Anmeldung auf allen Vieren krabbelnden Kind ins Wartezimmer. Kaum das wir uns gesetzt hatten, wurden wir auch schon  aufgerufen. Die Ärztin kam rein, stellte sich kurz vor und ich musste noch erst einmal schmunzeln, hielt ich sie eben doch noch für eine der Arzthelferinnen.
Ich schilderte ihr alles über meinen Sohn, seine Auffälligkeiten, meine Bedenken, auch die Sache mit der KJP. Während ich alles berichtete, hat sich mein Sohn unter meinen Stuhl versteckt und fuchtelte die ganze Zeit an meinen Schuhen herum. Ich schenkte ihm aber kaum Beachtung, da ich merkte, dass die Ärztin mir zuhörte (was ja in der Vergangenheit nicht allzu oft vorkam). Nachdem ich mit den gröbsten Berichten fertig war, sprach diese das erste Mal das Wort Autismus an. In meinem Kopf fing es an zu arbeiten, da ich über Autismus nicht besonders viel wusste. Ich kannte „RainMan“ und die Nachbarin meiner Arbeitskollegin hatte eine kleine Tochter mit frühkindlichen Autismus und diese schaukelte den ganzen Tag immer hin und her. Aber weder in RainMan noch in diesem kleinen Mädchen erkannte ich meinen Sohn. Ich lies sie also erst einmal erzählen und meine Gedanken gingen schon wieder ihre eigenen Wege, denn ich glaubte auch hier nicht an der richtigen Adresse zu sein. Als wir unser Gespräch fast beendet hatten, wies sie mich noch ganz unauffällig auf meine Schuhe hin. Ich schaute nach unten und musste ein wahres Kunstwerk an Knotentechnik entdecken. Während des Gespräches hat mein Sohn aus meinen Schnürbändern ein Knotenmuster erzeugt. Ihr Kommentar dazu: „Auch das ist typisch bei Autisten“. Sie gab mir noch eine Adresse eines guten Schulfreundes von ihr, der sich in einem anderen Bundesland in einer KJP niedergelassen hat und ein „Guru“ auf dem Gebiet „Autismus“ sein sollte. Wenn ich mich entschließen sollte, zwecks Diagnostik dort hinzufahren, dann sollte ich ihr Bescheid geben, damit sie ihren Kollegen schon einmal im Vorfeld informiert und wir nicht wieder so lange Wartezeiten in Kauf nehmen sollten. Aber dennoch riet sie mir noch, auf jeden Fall erst einmal das Gespräch vor Ort bei dem Kinderpsychologen in Angriff zu nehmen. Von diesem hat sie bisher auch nur gutes gehört.

Gesagt, getan. Ich erzählte erst einmal meinen Mann zu Hause von dieser Unterhaltung und meiner Meinung zu dieser Ärztin. Ich fand sie sehr nett und interessiert, auch musste ich ihr hoch anrechnen, dass sie meinen Sohn komplett ignoriert hatte, nicht dieses typische Anreden bzw. Zurechtweisen „Sag mal guten Tag“ oder „Wie heißt du denn?“, etc. Sie hat ihn die ganze Zeit beobachtet, aber in keinster Weise gedrängt, so das mein Sohn keine Angst haben musste und wir sicher eine Chance hatten, dort noch einmal hinzugehen, sollte er einmal krank werden.

Ich googelte mal wieder zum Thema Autismus und bin dabei auf das Asperger-Syndrom gestoßen. Puuh, ich glaubte, in allen Berichten meinen Sohn wieder zu erkennen. Unglaublich.

Sechs Wochen nach diesem Gespräch hatte ich nun, nach 16 Monaten Wartezeit, den Termin beim Kinderpsychologen. Mir war sehr mulmig zu Mute, hatte ich doch wieder dieses ungute Gefühl von dem Arzt aus der KJP in mir. Aber es gab schon einmal einen Vorteil. Dieser Kinderpsychologe bat um das Beratungsgespräch OHNE Kind, genau so, wie ich es schon in der KJP gerne gehabt hätte. Von daher hatte ich hier schon einmal einen Pluspunkt vergeben, bevor ich die Praxis betrat. Ich überlegte, ob ich ihm gleich von dem Verdacht der KiÄ und auch meinem erzählen sollte oder nicht. Ich entschied mich erst einmal dagegen. So schilderte ich noch einmal alles, was ich schon der KiÄ erzählte, der Kinderpsychologe nickte hin und wieder und als ich fertig war, meinte er nur, hört sich sehr nach Autismus an und erklärte mir gleich, das er nun erst einmal das Kind kennenlernen möchte und anschließend schauen, ob man in diese Richtung testen sollte. Eine Woche später erhielt ich einen neuen Termin mit Kind. Seltsamerweise bockte mein Sohn nicht, als wir die Praxis betraten. Er war nur sehr still und anhänglich. Als wir reingerufen wurden, musste ich meinen Sohn auf den Arm nehmen, er wirkte sehr ängstlich. Der Psychologe bat uns Platz zu nehmen und unterhielt sich mit mir über belangsloses Zeug, mein Sohn verkroch sich wieder unter dem Tisch. Dann holte der K.-Psych. ein Memory-Spiel hervor und fragte mich, ob wir es zusammen spielen wollen. Ich sagte „Ja“, da er mir im Vorfeld schon verriet, das er gerne einige Spiele mit mir machen wolle, die mein Sohn gerne spielt, ohne ihn selbst zu fragen, ob er auch mit spielen möchte. Er wollte ihn so aus der Reserve locken, was ihm auch nach gut 30 min. gelungen war. Mein Sohn kam unter dem Tisch hervor, schaute sich die Memory-Karten an, während wir spielten und ohne Aufforderung deckte er gleich einige Paare auf. Als die Stunde vorbei war und der Psych. meinen Sohn nur beobachtete, ohne ihn anzusprechen, gab er mir neue Termine zwecks Diagnostik mit und sehr viele Fragebögen.
Bei den ersten drei Diagnostikterminen musste ich immer mit rein und spielte anfangs einige Gesellschaftsspiele, mein Sohn sprang jedes mal drauf an und so kamen sich die beiden sehr schnell über die Spiele näher. Bereits beim vierten Termin konnte ich im Wartezimmer sitzen bleiben. Da wusste ich, hier bist du richtig, hier ist dein Sohn gut aufgehoben. Wir fühlten uns wohl und wussten, das wir hier richtig waren. Nach nur drei Monaten hatten wir die Diagnose schwarz auf weiß, die Auffälligkeiten unseres Sohnes hatten endlich einen Namen: F 84.5 – Asperger-Syndrom.
Unser Sohn erhielt Verhaltenstherapien und wir Eltern-Therapie, damit wir lernen konnten, besser auf unseren Sohn einzugehen und ihn verstehen. Während der Eltern-Therapiestunden wurde mir plötzlich immer bewusster, wie viel mir diese Therapiestunden selbst brachten und wie bewusst mir plötzlich einige Dinge an mir selbst auffielen. Zum ersten Mal kam auch bei mir der Verdacht, ob das vielleicht auch mein Anderssein erklären könnte. Aber diesen Gedanken schob ich irgendwie im Unterbewusstsein erst einmal beiseite, denn jetzt wollte ich so viel als möglich über Autismus wissen und fing an, mich im WWW durchzuforsten. Langweilig sollte mir ab dieser Zeit nie mehr werden J
Dank der Verhaltenstherapie unseres Sohnes und unserer Elterntherapie plus dem bis dato von mir zusammengelesenen, begann sich bei uns familiär wieder alles positiver zu entwickeln. Mit Ausnahme von sehr kleinen und wesentlich seltener Wutanfälle machten wir jeden Tag neue Fortschritte. Und diese Fortschritte machte nicht nur unser Sohn, nein, hauptsächlich wir als Eltern lernten jeden Tag neu dazu und konnten so besser auf unseren Sohn eingehen und ihn verstehen. Von nun an sollte es bergauf gehen.


Sonntag, 14. April 2013

Unsere Familie vor der Diagnose F84.5



Inzwischen ist alles so normal bei uns in der Familie, dabei ist es noch gar nicht so lange her, da glaubte ich, die Hölle auf Erden zu haben. Schon seltsam, was eine Diagnose alles verändern kann. Bei uns hat sie unser Leben verändert, positiv verändert. Früher gehörten Wutausbrüche bei unserem Sohn zum normalen Tagesablauf, man konnte fast schon die Uhr nach stellen. Gereizt waren alle bei uns, freundliche Wörter kamen kaum noch über die Lippen. Gegenseitige Vorwürfe, Tränen der Verzweiflung, ein ständig schreiendes und verweigerndes Kind, Stress, alles war vorhanden, nur keine Ruhe, kein richtiger Familienzusammenhalt, keine glückliche Familie. Dabei fing alles so harmonisch und glücklich an.

Ich kenne meinen Mann schon aus Kindheitstagen, wir wohnten in der selben Straße. Aber als Kinder haben wir nie zusammen gespielt. Erst im jungen Erwachsenenalter haben wir so langsam Kontakt zueinander gefunden. Es entwickelte sich eine super Freundschaft. Wir haben uns anfangs nie oft gesehen, aber irgendwie hatten wir einen Draht zueinander und jeder wusste vom anderen, das er für einen da ist, wenn wir einander brauchten. So war es dann auch, als ich eines Abends den Sohn meiner Freundin bei mir hatte, damit sie mal ausgehen konnte. Ich hütete derweil unsere beiden Kinder zu Hause. Dann klingelte es und mein „Mann“ kam zu Besuch. Kurze Zeit später wurden beide Kinder kurz hintereinander wach, sie waren damals 6 Monate und 1 ½ Jahre alt. Mein Besuch nahm mir sofort und wie selbstverständlich ein Kind ab und kümmerte sich drum, bis es wieder eingeschlafen war. In diesem Moment betrachtete ich meinen „Mann“ zum ersten Mal nicht nur als guten Freund, sondern stellte mir auch vor, wie es wäre, wenn wir so eine kleine perfekte Familie hätten. Aber es blieb halt bei einer sehr guten Freundschaft. Das Lied von Klaus Lage „1000 Mal berührt, 1000 mal ist nichts passiert“ passte wohl wunderbar auf uns zu, denn wir kamen wirklich erst 9 Jahre später fest zusammen.

Da mein Mann in der Zwischenzeit auch schon eine gerade gescheiterte Ehe hinter sich hatte, aus denen 2 Kinder hervorgegangen sind und ich ja alleinerziehend war mit meinem inzwischen fast 10jährigen Sohn, waren wir von diesem Moment eine perfekte Patchwork-Family. Die Kinder untereinander verstanden sich prima und auch wir kamen gegenseitig super mit den Kindern des anderen aus. Alles war perfekt. Wir waren einfach nur glücklich und waren uns beide einig, das eine Ehe nicht in Frage kommt und auf keinen Fall ein weiteres Kind.

Manchmal kommt es anders als man denkt. Nach vier Jahren wurde ich dann doch ungewollt schwanger. Nun, wir bekamen also ein nicht geplantes/gewolltes, aber doch erwünschtes gemeinsames Kind. Aufgrund meines Alters riet der Arzt mir zu einer Fruchtwasseruntersuchung, der ich einwilligte. Eigentlich war mir das Ergebnis total egal, aber ich wünschte mir so sehr noch einen Jungen und von daher konnte ich das Ergebnis dieser Fruchtwasseruntersuchung kaum abwarten. Als der erlösende Brief endlich eintraf, traute ich erst gar nicht, ihn zu öffnen. Zum Glück siegt bei mir oftmals die Neugier. Ein Junge!!! Ich schrie durchs ganze Haus vor Freude. Wir waren einfach nur glücklich – obwohl wir uns wohl über eine Tochter genau so gefreut hätten.

Die Schwangerschaft verlief aus meiner Sicht einfach nur furchtbar. Anfangs mit den typischen Übelkeiten, denen ich mich gute 3 Monate hingeben musste. Dann kamen schon kurze Zeit später Schmerzen während den normalen Bewegungen. Nach einer Untersuchung wurde festgestellt, dass sich einige Wirbel bei mir ausgerenkt hatten. Dazu musste ich zu einer Sportärztin, die sich mit einrenken während einer Schwangerschaft gut auskannte, da man dies nicht einfach mal so machen sollte. Ich wurde während der gesamten Schwangerschaft Stammpatient bei ihr. Nach einer weiteren Untersuchung wurde festgestellt, dass sich mein Becken ebenfalls verschoben hatte. Der Unterschied von der rechten zur linken Beckenseite lag bei 5 cm. Jeder Gang schmerzte, ich wurde bis auf weiteres krankgeschrieben, denn so konnte ich nicht arbeiten.
Als dann endlich die Wehen einsetzten mit gut 10 Tagen nach dem errechneten Termin, fuhr mein Mann mich ins Krankenhaus. Die Wehen kamen inzwischen regelmäßig in 5-minütigen Abständen, aber der Wehenschreiber zeigte nichts dergleichen an. Als endlich eine Untersuchung angeordnet wurde, stellte man fest, das der Muttermund bereits 8 cm auf war und trotz der fehlenden Wehen am Wehenschreiber die Geburt langsam vorbereitet werden sollte. Langsam….ich glaubte mich zu verhören. Als man mich in den Kreissaal brachte, hatte ich bereits Wehen im Abstand von 3 Minuten und endlich zeigte auch der Wehenschreiber mal etwas an. Gerade als der Arzt noch einmal schauen wollte, wie weit der Muttermund nun geöffnet war, platzte meine Fruchtblase und das ganze Wasser lief raus. Im nächsten Moment hatte ich auch schon die erste Presswehe. Kaum hatte ich diese schmerzvoll überstanden, bat ich um eine PDA (Peridualanästhesie). Diese wurde abgelehnt, genauso wie andere schmerzlindernde Mittel. Es machte sich bereits die nächste Presswehe bemerkbar, also der Arzt plötzlich sagte, „nicht pressen – schön durchhalten, nur nicht pressen“. Gut gesagt, er war ja nicht in meiner Lage, ich wollte aber pressen und dieses Kind endlich in die Freiheit entlassen. Kaum waren die Worte vom Arzt ausgesprochen, verschwand dieser auch mit Hebamme und Schwester und ich war ganz allein mit meinem Mann im Kreissaal. Es kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor, bis endlich ein ganzes Ärzteteam einschließlich Narkosearzt wieder hereinkamen. Ich verstand kaum, wovon alle redeten, da mich der Schmerz so in seiner Gewalt hatte, dass ich fast taub war. Der Narkosearzt versuchte mit mir ein Aufklärungsgespräch zu führen. Ich wollte einfach nur noch, das endlich alles vorbei ist und so schoben sie mich schnell in den OP zwecks Vollnarkose und Kaiserschnitt.

Nachdem ich wieder zu mir kam, wurde mir kurz noch einmal erläutert, warum so plötzlich und unerwartet der Kaiserschnitt eingeleitet werden musste. Es gab eine Geburtskomplikation: Geburtsstillstand in der Eröffnungsphase. Zum Glück ist alles gut gegangen. Mein Sohn war wohlauf. Während der OP ist den Ärzten zwar noch ein kleiner Fehler unterlaufen, sie haben wir die Blase mit aufgeschnitten, so dass ich 4 Tage mit einem Urinbeutel umherlaufen musste. Aber das war während des Krankenhausaufenthaltes wohl das kleinste Übel. Mein Kind schrie nur, es war kaum zu beruhigen. Brust anlegen war schier unmöglich und so blieb es natürlich nicht aus, dass ich am dritten Tag einen Milchstau hatte. Dank der totalen Überforderung der Krankenschwestern wurde dies trotz mehrfachen Hinweises von mir nicht behandelt. So kamen aufgrund eines schreiendes Kindes, der Schmerzen des Milchstaus, eines Kindes, dass 2 Stunden nicht auffindbar war (waren wohl die schlimmsten 2 std. meines Lebens) auch noch Wochenbettdepressionen hinzu. Alles war perfekt. Nach 5 Tagen habe ich mich auf eigene Verantwortung aus der Klinik entlassen. Ich suchte sofort meine Gynäkologin auf, damit sie mich behandeln konnte. Der Milchstau war bereits so akut, das sie mir nur noch raten konnte, abzustillen. Und das, bevor ich eigentlich so richtig angefangen habe zu stillen. Erst Kaiserschnitt, dann kein Stillen, wie sollte ich eine erste feste Bindung zu meinem Kind aufbauen. Meine Ängste kamen wieder, die ich bei meinem ersten Sohn schon hatte, aber hier fehlten diesmal jegliche Gefühle in mir. Nachdem ich kurze Zeit später von meinen Schmerzen befreit war, konnte ich mich dann aber doch etwas intensiver um meinen Sohn kümmern und ich merkte schon beim Anblick, das ich dieses Kind ebenso lieben könnte, wie meinen Erstgeborenen. Aber der Stress zuhause lies nicht nach. Er war nur am schreien, schlafen war für ihn ein Fremdwort. Er schaffte es mehrmals täglich für ca. 20 min., leider verliefen so auch die Nächte. Das Trinken mit der Flasche war genauso kompliziert, wie anfangs das Anlegen an der Brust. Auch wenn wir ihn auf den Arm nehmen wollten, damit er mal etwas weniger schrie, wir erreichten damit das Gegenteil. Meine Nerven lagen schon fast blank. Selbst das Windel wechseln und an- und auskleiden, immer nur mit Geschrei. Der Kinderarzt konnte nichts feststellen. Eines Tages, ich war mal wieder dabei, die Flasche zu verabreichen, da klingelte das Telefon. Ich legte meinen Sohn aufs Sofa, gab ihn mit einer Hand die Flasche und mit der anderen ging ich ans Telefon. Plötzlich trank er. Er trank so dermaßen schnell, das man glauben konnte, er wäre ausgehungert. Zur nächsten Flaschenzeit probierte ich wieder diese Lage  des Flaschen gebens aus und was soll ich sagen: Lag er auf dem Sofa und ich gab ihm einfach so teilnahmlos die Flasche, dann trank er. Sobald er in meinem Arm lag beim Flasche geben, gab es nur Geschrei. Beim Wickeln versuchte ich dann auch, die typischen Babyspielereien beiseite zu legen und ihn einfach kurz und knapp auszuziehen, Windel wechseln, sauber machen, anziehen. Supi. Nun hatte ich ein Kind, dem man kein Lächeln abgewinnen konnte, kein Blickkontakt mit uns hielt, keine Nähe wollte. Ich gab natürlich diesem Kaiserschnitt mit all den Komplikationen die Schuld, denn ich hatte ja keine Möglichkeit, richtige Wärme bzw. eine richtige Bindung mit meinem Kind aufzubauen.
Sobald mein Mann von der Arbeit kam, nahm er mit den Jungen ab, ging mit ihm Spazieren, damit ich ein wenig Schlaf nachholen konnte. Aber natürlich hielten diese Spaziergänge keine Ewigkeit.  Meine Nerven lagen blank und das lies ich natürlich an meinem Mann aus. Blieb ja nicht aus.

Zwei Jahre nach der Geburt unseres Sohnes beschlossen wir zu heiraten. Ob die Idee zu diesem Zeitpunkt gut war, wußte ich nicht, da unsere Beziehung durch unseren Sohn einen totalen Knackpunkt erreicht hatte.
Unser Sohn wurde älter, aber seine Art wurde für uns fast unerträglich. Diese Zustände sprach ich immer wieder beim Kinderarzt an, aber man wurde ja nur mit „das sind nur Phasen“ oder „sie müssen sich besser durchsetzen und die Sanktionen verschärfen“ vertröstet. Ich wechselte in dieser Zeit drei Mal die Kinderärzte, langsam hatten wir hier kaum noch Auswahl, aber von allen hörte ich immer nur das gleiche.
Im Sommer, kurz vor seinem 3. Geburtstag, tobte er mal wieder quer durchs Wohnzimmer. Ich ging raus, um eine zu rauchen, meine Nerven lagen mal wieder blank. Mein Mann hatte Spätschicht und war nicht daheim. Plötzlich ein lautes Geschrei. Ich lief ins Wohnzimmer und sah schon überall das Blut. Es lief meinem Sohn vom Kopf und verteilte sich überall. Ich schrie nur laut los, was meinen ältesten Sohn alamierte. Während ich den Kleinen auf den Arm nahm und Richtung Badezimmer lief um die Wunde mit Kompressen etwas zu lindern, lief mein Großer zur Nachbarin rüber. Diese kam auch sofort und wir führen in die Klinik. Dort angekommen war ich bereits blutüberströmt. Zwei Schwestern kamen mir sofort entgegen, wollten mir den Jungen abnehmen, damit sie mich „verarzten“. Habe den Irrtum schnell aufgeklärt und mein Sohn wurde sofort verarztet. Seine Platzwunde am Kopf wurde geklammert und wir durften nach 1 Stunde wieder das Krankenhaus verlassen. Man gab mir noch schmerzlindernden Saft mit. In der Zwischenzeit hat mein ältester Sohn meinen Mann informiert und dieser traf zeitgleich mit uns zuhause ein. Unser Sohn regte sich kaum. Wir glaubten immer noch an einen Schock. Als ich ihm den Saft geben wollte, verweigerte er diesen. Das kannten wir vorher nicht. Er sprach kaum noch. Irgendwie zog er sich zurück.
Wieder suchte ich einen Kinderarzt auf und bat um Überweisung ins SPZ. Diese Überweisung wurde mir verweigert, da er sich normal entwickelte und alles andere, lt. Aussage der Kinderärztin nur „Phasen“ seien. Ich konnte es nicht mehr hören. Ich war mir sicher, er zeigte Verhaltensauffälligkeiten, wieso glaubte mir keiner.
Er redete nur noch das notwendigste zuhause, aber meistens schrie er. Er spielte anders. Er fing an seine Autos immer in der gleichen Anordnung aufzustellen. Dies machte er auch mit seinen Stöcken, die er draußen sammelte oder mit Steinen. Das war seine Art zu spielen.
Seine Wutausbrüche wurden schlimmer, so dass ich eines Tages (es war an seinem 3. Geburtstag) meine Geduld verlor. Wir hatten bereits die Geburtstagsgäste im Haus, es war relativ laut und unser Sohn fing an, mit Gegenständen auf uns und auf die Gäste zu schlagen. Da zog ich meinen Latschen aus und schlug zu. Es war wohl der schlimmste Moment im meinem Leben. Ich habe meinen Sohn auf eine Art geschlagen, dass mein Mann mich bremsen musste. Als ich mich wieder sortiert hatte, rief ich sofort das Jugendamt an. Ich schilderte die Situation und bat um Hilfe, da ich nicht wusste, wie lange ich mich weiterhin unter Kontrolle behalte und ich wollte meinem Sohn vor mir selber schützen. Auch hatte ich schon zwei Monate zuvor bei einem Kinderpsychiater angerufen. Dort stand ich auf der Warteliste. Als die Dame vom Jugendamt hörte, dass ich bereits auf der Warteliste stehe, sagte sie nur „dann sind sie in guten Händen, wird schon alles werden“. Das war es. Was wird denn werden? Schalten die sich erst ein, wenn man sich nicht mehr unter Kontrolle hat und sein Kind totgeschlagen hat? Ich begriff die Welt nicht mehr. Diese ganzen Vorfälle fanden immer nur zuhause statt. Gingen wir irgendwo mit unserem Sohn hin, war er das liebste Kind. Er saß auf unserem Schoß bzw. daneben, sagte nichts, schrie nicht, kuschelte sich immer bei uns an, so das wir diese Zeit mit unserem Sohn genossen. Es passierte auch oft, das er plötzlich anfing zu fiebern oder zu zittern, wenn wir wieder irgendwo fremd waren. Dann musste ich kurze Zeit später immer mit ihm nach Hause. Dies beunruhigte mich aber weniger, da ich das von mir als Kind ja auch kannte. Die Leute sahen also immer nur einen ganz lieben und ruhigen Jungen, wenn wir irgendwo waren, unseren Erzählungen, dass er zuhause der Teufel in Person ist, glaubte uns niemand.
Kurz nach seinem 3. Geburtstag kam er dann in den Kindergarten. Mir graute davor. Ich sah ihn schon förmlich an mir kleben und hörte sein Geschrei, wenn ich den KiGa verlasse. Aber nichts von dem traf ein. Er lies alles über sich ergehen, wie mit einer Puppe. Ich konnte gehen, ohne dass er auch nur eine Regung zeigte. Im Kindergarten sprach er nicht. Er spielte dort für sich, malte oder puzzelte. Wenn ich ihn abholte, spielte er oder saß irgendwo. Die Erzieher trösteten mich, da er noch relativ jung sei und alles andere würde mit der Zeit schon kommen. Aber es kam nichts. Nur, wenn ich ihn abholte und die Kindergartentür hinter uns zu ging, platzte plötzlich alles aus ihm raus. Er bekam einen Tobsuchtanfall. Man konnte die Uhr nach stellen, immer beim Abholen. Dieser hielt meist an, bis wir zuhause waren. Manchmal kam dann auch schon wieder der Nächste. Ich glaubte, es läge an mir. Scheinbar fühlte er sich im KiGa wohl, aber nicht zuhause.
Dann stand die Vorschuluntersuchung im KiGa für die Vierjährigen an. Unser Sohn verweigerte auch diese Untersuchung. Die Amtsärztin bat um ein Gespräch und glaubte an Angstzuständen. Nach meinen ganzen Schilderungen meinte sie, es wäre gut, wenn ich einen Psychiater aufsuchen würde. Zumindest glaubte sie meinen Schilderungen. Dafür war ich ihr schon einmal dankbar. Kurze Zeit später erhielt ich dann einen Anruf vom KJP. Endlich hatte ich einen Termin und dieser dauerte auch nur noch eine Woche. Ich glaubte mich am Ziel, aber es sollte noch schlimmer kommen.
Zum ersten Termin sollte ich mein Kind mitbringen. Eigentlich wollte ich gerne erst einmal ein Gespräch unter vier Augen führen, aber das wurde abgelehnt. Also fuhr ich mit Kind zum KJP. Ich musste ein Formular ausfüllen und anschließend wollten sie meinen Sohn messen und wiegen. Er verweigerte. Zwei Arzthelferinnen schnappten ihn und stellten ihn auf die Waage. Er wehrte sich und sprang sofort wieder runter. Ich nahm ihn auf den Arm. Im Besprechungszimmer verkroch er sich sofort unter den Tisch. Der Arzt flösste mir irgendwie ein mulmiges Gefühl ein, ich schob es auf meine Nervösität. Mein Kleiner störte das Gespräch, wie er es immer macht, wenn er mitbekommt, das ich über ihn spreche. Er trat gegen den Tisch und den Stuhlbeinen. Der Psychiater zog ihn unter dem Tisch hervor und setzte ihn mit einem Hau-Ruck auf einen Stuhl, hielt ihn an den Armen fest und sagte: „Hier bleibst du jetzt sitzen!“ Die Art fand ich so was von daneben. Als eine weitere Unterhaltung aufgrund der Störungen von meinem Sohn nicht möglich war, beendete der Psychiater die Besprechung, übergab mir sehr viele Fragebögen und gab mir Termine zur Diagnostik. Ich verlies die Praxis und musste erst einmal tief durchatmen. Ich fühlte mich nicht wohl, aber da musste ich jetzt durch. Zum ersten Diagnostiktermin brachte ich die ausgefüllten Fragebögen wieder mit. Nach 10 min. wurde der Diagnostiktermin abgebrochen aufgrund Verweigerung meines Kindes. Ich erhielt einen neuen Termin zur Besprechung (allein). Als ich zwei Tage später wieder die Praxis betrat und ich zum Psychiater gebracht wurde, teilte er mir folgendes mit: „Eine Diagnostik ist unmöglich, ihr Sohn verweigert alles (nach 10 min.!). Nach Auswertung der Fragebögen komme ich zu dem Resultat, das ihr Sohn an einer angeborenen Kindheitsdepression leidet. Zur weiteren Diagnostik gebe ich ihnen eine Überweisung in die KJP…… zur vollstationären Aufnahme“. Ich war empört. Ich nahm die Überweisung, zerriss diese vor den Augen des Arztes und sagte nur: „Mich sehen sie hier nicht wieder“. Damit verließ ich die Praxis, bereits mit total verweinten Augen. Wer sollte mir jetzt noch helfen?

Mein Kampf begann. Der Kampf um meinen Sohn. Der Kampf meines Lebens. Ich war noch nie eine Kämpferin, dazu bin ich nicht geboren. War ich doch immer der stille, zurückhaltene Typ, der kaum den Mund aufmachte und alles immer nur schluckte. Nun sollte sich alles ändern….für meinen Sohn….für meine Familie.

Alles weitere später im nächsten Post „Unser Weg zur Diagnose“.

Donnerstag, 11. April 2013

Meine Art von Traurigkeit


Sage nie: „Das kann ich nicht“. Vieles kannst, Du willst die Pflicht.
Alles kannst, Du willst die Liebe.
Darum Dich im schwersten übe.
Schwerstes fordern Lieb und Pflicht,
drum sage nie: „Das kann ich nicht“.

Diesen Spruch schrieb mir mein ältester Bruder am 12.10.1975 in mein Poesiealbum.
Wie oft habe ich mir diesen Spruch in all den Jahren immer wieder durchgelesen und mich gewundert, warum mein Bruder ausgerechnet diesen Spruch für mich gewählt hat. Wie oft stand ich vor Aufgaben und glaubte diese nicht zu bewältigen und als erstes fielen bei mir immer die Worte: „Das kann ich nicht“ und wie oft musste ich dann an diesen Poesiespruch meines Bruders denken. Mein Bruder hat mich oft in Situationen hineingeschubst, aus denen ich glaubte, allein nie wieder rauszukommen. Aber irgendwie schaffte ich es immer wieder.
Wie oft in letzter Zeit habe ich mich gefragt, ob er mich besser kannte, als ich mich selbst. Er hat mir immer mehr zugetraut, als ich glaubte in der Lage zu sein.

Als mein Bruder (29) auf tragische Weise ums Leben kam, war ich 21 Jahre alt/jung. Zum ersten Mal habe ich tiefe Traurigkeit empfunden, Emotionen, die ich vorher nie kannte, nicht in dieser Art und Weise. Und dennoch war ich nicht in der Lage zu weinen. Wie gern hätte ich meine Mutter getröstet oder meinen Vater, der an den Tod meines Bruders fast selbst zerbrochen wäre. Ich konnte es nicht. Ich musste den Tod meines Bruders ganz allein für mich verarbeiten. Da wir nachts um 02.00 Uhr telefonisch benachrichtigt wurden und ich dieses Telefonat entgegen genommen habe, war ich lange Zeit danach nicht in der Lage, überhaupt wieder ans Telefon zu gehen. Jedesmal, wenn das Telefon geklingelt hat, bin ich zusammengeschreckt und habe mich zurückgezogen. Während mein Vater nach dem ersten Schock dann die restliche engere Familie benachrichtigte und diese dann irgendwann nach und nach alle bei uns zu Hause eintrafen, verließ ich die Wohnung meiner Eltern. Ich war nicht in der Lage über meinen Bruder zu reden, wollte nicht, das mir andere Trost spenden, ich wollte nur alleine sein. Ich lief den ganzen Tag wie in Trance durch die Gegend. Als ich irgendwann wieder einigermaßen Herr meiner Sinne war, musste ich feststellen, dass ich in einer mir völlig fremden Umgebung war. Ich bin über vier Ortschaften weit gelaufen ohne überhaupt zu merken, wo oder wie ich dort hingekommen bin. Als ich gegen Abend wieder bei meinen Eltern eintraf, musste ich feststellen, dass immer noch alle Familienangehörigen da saßen, weinten, trauerten und alte Geschichten über meinen Bruder erzählten oder auch sich immer wieder nach dem Warum fragten. Ich verstand es nicht, ich wollte nur meine Ruhe, die ich genau in diesem Moment dort nicht fand. Vielleicht war es aber auch nur, weil ich nicht fähig war, auch äußerlich zu trauern? Hatte ich einfach nur Angst, die anderen könnten denken, ich bin nicht traurig, weil ich nicht weine, weil mir keine Tränen runterlaufen, weil ich mir nicht ständig die Nase schnauben muss. Ich trauerte doch, aber tief in meinem Herzen und tief in mir drin. Warum verstand mich in diesem Moment niemand. Ich wollte nicht in den Arm genommen werden. Warum meinten alle, sie müssten mich umarmen und drücken und mir tröstende Worte zu sprechen. Dieser Zustand war für mich so unerträglich und dennoch musste ich da wieder mal durch auf meine Art. Ich verstand nicht, warum niemand auf meine Art trauerte, denn ich konnte nicht reden, ich hatte ein Gefühl, als würde mir jemand die Kehle zudrücken. Wie konnten all die anderen reden, reden, reden. Wieso trauerten sie so seltsam? Ich verstand es nicht. Erst Wochen später konnte auch ich über meinen Bruder reden und ich stellte fest, das es eine Art Befreiung ist, über einen Menschen zu reden, den man vermisst.
Auch nach dem Tod meiner Eltern verlor ich keine Tränen, aber ich trauerte. Ich trauerte wieder tief in mir drin. Nur diesmal musste ich reden. Aber nicht, um es zu verarbeiten, nein, ich musste meinem damals 9jährigen Sohn mitteilen, das seine über alles geliebte Oma nun für immer eingeschlafen ist. Mein Sohn weinte und weinte und weinte und da musste ich plötzlich mit weinen. Aber ich weinte in diesem Moment nicht aufgrund des Verlustes meiner Mutter, meiner über alles geliebten Mutter, nein, ich weinte, weil mein Sohn traurig war und ich nicht wirklich in der Lage, in zu trösten. Ich nahm ihn in den Arm und versuchte tröstende Worte zu finden, aber es viel mir so schwer. Aber meinem Sohn gegenüber konnte ich mich öffnen, für ihn fand ich wohl die passende Worte. Ich redete mit ihm über alles, was mir gerade so in den Sinn kam, ohne lange über meine Wortwahl nachzudenken, wie ich es sonst mache. War es das, warum alle immer so viel reden mussten, war es ihre Art von Trauerbewältigung? So frei geredet habe ich danach nie wieder. Reden, ohne nachzudenken, was als nächstes für ein Satz bei mir raus kommt, nein, das geht nicht. Aber genau in diesem Moment, als mein Sohn dies brauchte, konnte ich es.

Mir wird immer gerne nachgesagt, ich sei ein Mensch, der ziemlich nah am Wasser gebaut wurde, da mir bei vielen Gelegenheiten die Tränen nur so aus den Augen laufen. Momente, wo man es vielleicht gar nicht erwartet, aber ich kann es nicht, wenn ich einen Menschen verliere, der mir Nahe stand. Warum? Wie oft hat es mein Mann schon geschafft, nur mit Worten, die nicht mal böse gemeint waren, das ich einfach anfange zu weinen. Wie oft hat er mir schon die Frage gestellt, warum ich weine? Ich weiß es nicht, irgendwann kommt es einfach so aus mir raus und dann gibt es keinen Halt mehr.
Auch habe ich sehr oft am Bett meines jüngsten Sohnes gesessen und einfach nur geweint, während er friedlich schlief. Damals hatten wir noch keine Diagnose und ich wusste nicht, was ich alles falsch gemacht habe. Warum er sich so agressiv uns gegenüber verhält, warum wir so schwer an ihn rankommen. Wenn er dann abends in seinem Bett lag und schlief und ich mich auf sein Bett setzte, einfach um ihn zu beobachten, wie er so da lag, da liefen die Tränen.

Mittwoch, 10. April 2013

Mein Umgang mit Veränderungen




Mit Veränderungen liege ich arg im Zwiespalt, ganz schlimm, wenn sie nicht geplant sind und ganz plötzlich aus dem Nichts auftauchen.
Schon ein Klingeln an der Haustür löst in mir leichtes Herzrasen aus, wenn ich keinen planmäßigen Besuch erwarte. Kurz nachdem wir in unser Haus gezogen sind und ich eh schon so mit diesen vielen neuen Veränderungen zu kämpfen hatten, konnte ich mich weder von heut auf morgen an diesen Klingelton gewöhnen, der sehr schrillend war und sofort ins Ohr ging, noch hatte ich Probleme damit, das ich nicht vor dem Öffnen der Haustür sehen konnte, was oder wer mich dort erwartete. Es ist ein kurzer schmaler Vorflur zur Hauseingangstür und das Fenster mit Sicht auf die Haustür befand sich erst im Hauptflur. Da wir hier eine noch sehr alte und inzwischen auch undichte Haustür ohne Sichtfenster hatten, war dies einer meiner ersten positiven Veränderungen am Haus. Bei der Auswahl habe ich es mir nicht unbedingt leicht gemacht. Es musste eine Tür sein, die mir einen Ausblick ermöglichte, aber wollte ich auf keinen Fall, das der Besuch einen Einblick hatte. Wahrscheinlich würde ich mich sonst wieder total beobachtet fühlen. Schlussendlich entschied ich mich für eine Tür mit mehreren kleinen Sprossenfenstern im oberen Bereich der Tür. Die Sprossenfenster mussten Milchglas haben, so dass ich wenigstens die Konturen der Personen, die mich beim Öffnen der Tür erwarteten, schon einmal etwas einordnen konnte. Diese Tür bietet mir nun in meinem Zuhause schon eine gewisse Art von Sicherheit.

Veränderungen spielen in meinem Leben eine große Rolle. Ich komme zwar inzwischen wesentlich besser mit Veränderungen klar als früher, aber sie lösen in mir immer noch eine leichte Panik aus. Ich benötige eine gewisse Routine in meinem Leben und schon allein, wenn diese Routine etwas aus der Bahn rutscht, verliere ich leicht die Kontrolle über meinen Tagesablauf. Ich finde zwar meistens den Faden wieder und kann dann dort weiter machen, wo ich aufgehört habe, aber mir fehlt dann immer die Sicherheit, ob der weitere Ablauf ohne Probleme/Störungen/Unvorhersehbares weiterlaufen kann. Morgens nach dem Aufstehen brauche ich erst einmal eine Zeit nur für mich zum Ordnen meiner Gedanken, in dieser Zeit bin ich einfach nicht ansprechbar. Ich brauche einfach meine Ruhe, um ungestört einen Kaffee zu trinken und die Tageszeitung zu lesen. Wenn ich in dieser Zeit gestört werde, z. B. weil mein jüngster Sohn meint, er müsse aufstehen, bevor ich ihn wecke oder unser ältester Sohn noch nicht durch ist in der Küche mit Frühstück, fange ich schon an, nervös im Flur auf und ab zu laufen, bis ich meinen Kaffee habe und damit vor der Zeitung sitze. Mein ältester Sohn steht in der Woche immer gut 30 min. vor mir auf und ist dann schon fertig in der Küche, wenn ich aufstehe. Aber es kommt auch vor, das sich unsere Zeiten überschneiden, wenn er der Meinung ist, nicht sofort nach dem Klingeln seines Weckers aufstehen zu müssen, so sitzt er noch am Tisch, wenn ich reinkomme und ich fühle mich sofort in meiner Ruhe gestört. Bei meinem jüngsten Sohn ist es ähnlich, er steht in der Woche erst auf, wenn ich ihn wecke, aber es kommt auch mal vor, dann kann er nicht mehr im Bett liegen und kommt halt schon runter. Da er morgens aber auch seine Ruhe braucht und keine Hektik, geht er dann ins Wohnzimmer und ich kann meine Zeit in der Küche allein verbringen, nachdem ich ihn schnell mit dem gröbsten „abgefertigt“ habe. Wenn ich meine morgendliche Auszeit hatte, kümmere ich mich um unseren Kleinen, damit er pünktlich zur Schule kommt. Aber dies geht nur vernünftig, wenn ich meine Ruhe einhalten konnte.  Da dieser noch sehr viel Hilfestellung beim Waschen, anziehen, etc. benötigt, müssen wir morgens immer versuchen, unsere vorgegebenen Zeiten einzuhalten, ansonsten können wir beide auch sehr gut aneinander geraten. So ist das wohl, wenn zwei Menschen mit eigenen Routinen und Ritualen aufeinander prasseln.
Veränderungen lösen aber nicht immer die gleichen Reaktionen bei mir aus. Es kommt immer auf meine Tagesform an und vor allem auf die Art und Weise der Veränderung. Gehe ich einkaufen und in dem Einkaufsladen wurde gerade wieder mal umgeräumt und ich kann nicht der Reihe nach meinen Einkaufszettel abhaken, so kommt es schon mal vor, das ich auf der Suche nach einem bestimmten Artikel von meiner Liste den Rest einfach vergesse und nur mit einem halben Einkauf wieder nach Hause komme. Schon allein ein neues Etikett auf einem Artikel löst eine Art von Unsicherheit in mir aus und ich bin nicht sicher, ob es noch der gleiche Inhalt bzw. der gleiche Artikel ist, den ich eigentlich einkaufen wollte. So ist es mir letztens erst wieder ergangen, als ich Apfelsaft im Tetra-Pack einkaufen wollte. Zwar stand der Apfelsaft genau dort, wo er immer steht, aber sah er farblich komplett anders aus. Ich schaute mir das Tetra-Pack komplett an, konnte mich aber nicht dazu hinreißen lassen, diesen Apfelsaft nun auch zu kaufen. So schickte ich anschließend meinen Mann noch einmal los, damit er eine Palette Apfelsaft einkauft. Nun haben wir den „neuen“ alten Apfelsaft zuhause und ich kann mich langsam an das neue Aussehen gewöhnen. Obwohl ich gar keinen Apfelsaft trinke und der Inhalt bzw. der Geschmack mir von daher total egal sein könnte, so hat mich dies alles total verunsichert. Es sind halt schon die kleinen Veränderungen im Leben, die mich unsicher machen.


Meistens spielt mein Körper bei Veränderungen verrückt. Mal sind es Schweißausbrüche, die ganz plötzlich auftauchen, mal arge Magenkrämpfe. Auch war ich früher sehr schnell reizbar, hätte in die Luft gehen können – was auch manchmal passiert ist – nur allein schon, wenn mein Mann mir früh morgens, wenn er von der Nachtschicht heimkam und ich noch nicht wirklich mit meinen bis dahin geplanten Abläufen fertig war, eine „Kante ans Bein labern“ wollte. Dann bekam ich oftmals zu hören „Ich sei ein Morgenmuffel“ oder „Immer diese schlechte Laune“. Zum Glück ist das nun nicht mehr der Fall. Zum einen habe ich meine morgendliche „Muffelei“ gut unter Kontrolle, seitdem ich weiß, dass es an meinen gestörten routinerten Abläufen liegt, weshalb ich so gereizt bin und zum anderen, das mein Mann verstanden hat, das ich unserem Sohn sehr ähnlich bin und er auch viel dazu gelernt hat, uns einfach so zu nehmen wie wir sind. Heute nehme ich mir einfach eine Auszeit zum Nachdenken, wenn ich weiß, dass wieder eine Veränderung ansteht. Ich versuche die mir bekannten Veränderungen schon weit im Voraus zu planen und durchchecken, d.h. es gibt manchmal Plan A, Plan B, Plan C. Natürlich klappt dies nicht immer, aber es ist inzwischen meine Art, Veränderungen im Vorfeld zu verarbeiten. 

Montag, 8. April 2013

Meine Cousine und ihre LRS




In meinen ersten Posts habe ich ja schon erwähnt, dass ich sehr viel Zeit mit meiner Cousine verbrachte. Sie war und ist der Mensch, der von Anfang an immer an meiner Seite war. Ich habe sie nie als meine beste Freundin gesehen, obwohl wir die meiste Zeit miteinander verbrachten. Sie war einfach meine Cousine und das war auch gut so. Ich habe sie als Kind immer bewundert. Sie war so erfrischend, so frei heraus. Sie hatte soviel Energie (und das bis heute noch) ins sich und konnte einen damit auch teilweise ganz schön anstecken. Oftmals wurde es mir auch zuviel. Ich genoss die Zeit, die ich mit ihr verbrachte, so lange es eine ruhige Zeit war. Natürlich ist es schwer, diesem Energiebündel viel ruhige Zeit abzugewinnen, aber da ich immer nur in den Nachmittagsstunden bei ihr war, hielt es sich in Grenzen. So konnte sie sich morgens in Kindergarten/Schule schon einmal ordentlich auspowern und wir konnten die erste Zeit immer ruhig angehen. Oftmals sah ich ihr einfach auch nur zu, wenn sie wieder so energiegeladen umher lief. Was hätte ich damals dafür gegeben, einmal so zu sein, wie sie.
Meine Cousine wurde ein Jahr nach mir eingeschult und ich freute mich bereits darauf, endlich in den Pausen jemanden an meiner Seite zu haben. Ich war ja ein sehr ruhiges Kind, auch in der Schule und Freunde hatte ich im ersten Schuljahr noch keine gefunden, außer unseren Nachbarsjungen. Aber dieser ging halt morgens nur mit mir gemeinsam zur Schule und anschließend auch wieder nach Hause. Nachmittags haben wir manchmal zusammen gespielt, aber in der Schule war es so, als würden wir uns nicht kennen. Zumindest war dies mein Eindruck und so verbrachte ich in der ersten Klasse meine Pausen immer nur allein mit meinem Schulbrot und wartete auf den erlösenden Gong, das es endlich im Unterricht weiterging. Als dann endlich meine Cousine eingeschult wurde, änderte sich meine Einstellung zu den Pausen. Plötzlich war immer jemand an meiner Seite und ich fand kaum noch Zeit, mein Brot zu essen. Ich fing an, dass mir die Schule Spass machte. Ich war eine Durchschnittsschülerin im ersten Schuljahr. Ich lernte Lesen und Schreiben und hatte keine Schwierigkeiten, dem Unterrichtsstoff zu folgen. Nur mündliche Beteiligung fehlte halt.
Zu meiner Schulzeit gab es ja noch Zensuren ab der 1. Klasse und auch samstags fand noch Unterricht statt. Meine Zensuren lagen alle bei 3 und 4. Besser ging es halt nicht. Wobei ich die Hauptfächer mit 3 absolvierte und die Nebenfächer alle eine 4 abbekamen. Meine Cousine hingegeben brachte in der 1. Klasse nur Einser mit nach Hause und dementsprechend sah auch ihr Zeugnis aus. Wow, so ein Zeugnis wollte ich auch haben und so fing ich an, mehr an mir und meinen Leistungen zu arbeiten. Es funktionierte.
Ich werde den Tag nie vergessen, meine Cousine war nun in der 2. Klasse und ich kam nachmittags zu ihr und fand sie nirgends. Niemand wusste, wo sie war. Keiner hatte sie nach der Schule mehr gesehen. Irgendwann fand ich sie im Haus ihrer Eltern hinter dem Sofa versteckt. Sie sah total verheult aus. Dann erzählte sie mir, dass sie eine 5 im Diktat geschrieben hat und sich nicht traute, es ihren Eltern zu sagen. Ich ging zu meinem Onkel und erzählte es ihm. Es gab natürlich keinen Ärger, wie von meiner Cousine erwartet. Aber von diesem für sie wohl schockierendem Ereignis, fing sie an zu stottern. Zumindest ist es mir da zum ersten Mal aufgefallen. Die Stotterei wurde ihr plötzlich zum „Verhängnis“. Sie wurde von allen Kindern gehänselt. In der Schule ging es bergab. Meine Cousine brachte keine Note, die besser war als 4, mit nach Hause. Diktate waren mit einer 5 schon etwas Gutes. Himmel, was war nur passiert. Sie war in der 1. Klasse eine super gute Schülerin, nur Einser und nun dies. Mein Onkel und meine Tante fingen auch an, sich Gedanken zu machen und fuhren mit meiner Cousine von einem Arzt zum nächsten, angefangen beim Kinderarzt, HNO, Psychiater, etc. Nach fast einem Jahr wurde bei meiner Cousine eine Lese- und Rechtschreibschwäche festgestellt. Während ich immer besser wurde in der Schule (zumindest, was meinen Notendurchschnitt anging), verschlechterte sich bei meiner Cousine anfangs alles. Es wurde über einen Schulwechsel nachgedacht. Für mich ging die Welt unter. Aber alle haben die Rechnung ohne meine Cousine aufgemacht. Sie ist eine Kämpferin. Neben ihren Therapien, die sie von nun an bekam, fragte sie mich, ob ich ihr beim Lernen helfen könnte. Natürlich machte ich dies. In der Schule entwickelte sie ihre eigenen Praktiken, damit sie den Klassenerhalt schafft und nicht die Schule wechseln musste. So ging sie frei heraus zu ihren Lehrern und besprach mit denen, ob es in Ordnung wäre, das sie der Lehrerin z.B. bei Aufsätzen diesen diktieren könnte, dann wären keine Fehler drin und die Lehrerin könne sich voll und ganz auf den Inhalt des Aufsatzes konzentrieren. Die Lehrer waren so begeistert, das die Diagnose meine Cousine nicht auch in ein tiefes Loch stürzte und unterstützten sie, gaben ihr Hilfestellungen und Arbeitserleichterungen, dass meine Cousine weder die Schule wechseln musste, noch ein Schuljahr irgendwann wiederholte. Sie blieb zwar die ganzen Jahre „nur“ auf der Hauptschule, aber sie hatte einen Abschluss und fand auch schnell eine Ausbildungsstelle. In all den Jahren habe ich meine Cousine versucht zu unterstützen und sie hat es mir immer gedankt, in dem sie auch mir immer helfend zur Seite stand. Aus uns wurde ein gutes Team und das sind wir auch heute noch. Nur sehen wir uns natürlich seltener, aber wir sind immer füreinander da.
Trotz alledem habe ich noch nie mit ihr über meine Gefühls- und Gedankenwelt gesprochen. Sie hat mich immer so angenommen wie ich war/bin. Vor einigen Jahren hat sie mir sogar erzählt, dass ich immer ihr Vorbild war in all den Jahren und sie sich oftmals gewünscht hätte, so zu sein wie ich. Ob dies wirklich so stimmt, wer weiß….aber es war ein gutes Gefühl zu Wissen, das es Menschen gibt, die einen so mögen, wie man ist und sich nicht verstellen muss.

Sonntag, 7. April 2013

Gefühlsschwankungen



Es gibt Tage, an denen Wünsche ich mir, einfach in den Arm genommen zu werden. Aber ich bin nicht in der Lage, meinem Mann zu sagen, „nimm mich bitte mal in den Arm und halt mich fest“. Diese Umarmungen wären mir nicht unangenehm, aber die Angst, das er fragen könnte, warum ich gerade jetzt in den Arm benommen werden möchte, diese Frage macht mir Angst, weil ich in diesem Moment keine Antwort darauf hätte. Also spreche ich es nicht aus und warte auf den Moment, wenn ihm danach ist. Zum Glück kennt er mich gut genug und weiß, das er dies nicht einfach so spontan machen kann/darf. Überraschende und völlig unvorbereitete Umarmungen lösen in mir eine Art Panik aus. Ich kann es nicht anders beschreiben. Das ist auch ein Grund, warum ich meine Umarmungen bei meinem autistischen Sohn immer vorher ankündige. Darin sind wir uns sehr ähnlich. Er lässt eine Umarmung meinerseits schon sehr oft zu, aber ansonsten darf ihn niemand umarmen.

Wenn wir früher Besuch bekommen haben und man mich zur Begrüßung umarmen wollte, empfand ich dieses jedes Mal als sehr unangenehm. Aber da es alle machten, versuchte ich diese kurzen Momente zu überstehen. Heute ist es so, dass viele in unserem Freundes- und Bekanntenkreis wissen, dass ich diese Art von herzlicher Begrüßung/Verabschiedung nicht unbedingt mag und sie respektieren es auch. Dennoch gibt es gewisse Menschen, bei denen ist mir diese Art von Begrüßung/Verabschiedung überhaupt nicht unangenehm. Da gehe ich auf schon von allein drauf zu und begrüße sie mit einer herzlichen Umarmung. Nicht, das mir einige von ihnen vielleicht weniger und die anderen mehr sympatisch sind, es ist in diesem Moment auch für mich ein inneres Bedürfnis zu zeigen, das ich mich freue, diese Menschen zu sehen. In diesen seltenen Momenten kann ich meine Gefühle ganz offen zeigen, sie sind ehrlich und kommen von Herzen. Warum ich da so Unterschiede machen, kann ich nicht sagen, da ich unsere wenigen Freunde total gerne mag und dennoch gibt es diese, bei denen ich es nicht wirklich kann und die anderen, bei denen es mir überhaupt nicht schwer fällt.

Als Kind hatte ich auch diese Gefühlswankungen, wenn ich nicht wusste, wie ich mich zu verhalten hatte. Zum Beispiel an meinen Geburtstagen oder zu Weihnachten, wenn es Geschenke gab. Zum Glück gab es früher bei uns nicht so viel, somit blieb es mir erspart, viele Geschenke auszupacken. Denn auch das machte mir irgendwie Angst, wusste ich doch nicht, was sich hinter diesem Geschenk verbirgt und ob ich mich nun wirklich freue oder man mir ansehen würde, das ich darüber vielleicht enttäuscht bin. Glücklich war ich an einem Weihnachten, ich war so ca. 5 Jahre alt, da bekam ich eine Puppenkarre und eine neue Puppe. Am meisten habe ich mich gefreut, dass diese Geschenke nicht eingepackt waren, sondern direkt vor dem Weihnachtsbaum standen. So musste ich nicht erst wieder lange an dem Papier zerren, um etwas auszupacken. Wirklich gespielt habe ich damit nicht, aber mir wurde die Angst vor einem nicht „sichtbaren“ Geschenk genommen.

Während meiner ersten Schwangerschaft hatte ich auch immer so merkwürdige Gedanken. Immer wieder fragte ich mich, wie es wohl sein würde, wenn das Kind erst einmal da ist. Würde ich es lieben können, so von ganzem Herzen oder ist da immer ein Teil in mir, das dieses Kind vielleicht auch ablehnt? Ich habe mich von dem Vater des Kindes im 5. Monat der Schwangerschaft getrennt und das aus einem Grund, wenn ich heute dran denke, muss ich herzhaft darüber lachen. Damals war mir nicht zum Lachen zu Mute. Die ersten Schwangerschaftswochen hatte ich dieses typische Unwohlsein und wenn dann mein damaliger Freund von der Arbeit nach Hause kam, musste ich mich sofort übergeben. Er arbeitete damals auf einem Stahlwerk und roch dermaßen nach Schwefel, dass mir richtig schlecht wurde. Ich habe es eine lange Zeit ertragen und dann ging es nicht mehr. Ich trennte mich von ihm mit den Worten:“ Ich kann dich einfach nicht mehr riechen“ – Ich habe dieses Sprichwort wörtlich genommen und muss heute immer noch lachen. Denn es waren ja eigentlich nur meine Schwangerschaftshormone, die da übel mitgespielt haben, aber ich wusste in diesem Moment, was man immer damit meinte, wenn jemand sagte „ich kann nicht riechen“ J Natürlich war ich nie wirklich traurig über meinen Entschluss dieser Trennung, aber dieser Trennungsgrund – ich könnte schon wieder anfangen zu lachen.

Als man mir kurz nach der Entbindung meinen Sohn in den Arm legte, waren diese Gedanken wieder da. Kann ich dieses Kind lieben? Er lag in meinem Arm und schlief ganz seelig und ich wusste nicht, ob dies nun mein Glück oder mein Unglück war. Aber es dauerte gar nicht lange, da kannte ich die Antwort und schämte mich schon wieder über meine düsteren Gedanken. Nachdem man mir das Kind dann zum ersten Mal zum anlegen an die Brust legte, überkam mich sofort ein sehr glückliches und stolzes Muttergefühl. Mir liefen einfach nur so die Tränen, da ich dieses Glück kaum fassen konnte. In diesem Moment wusste ich, das ich dieses Kind lieben würde, mehr als alles andere auf der Welt und so ist es bis heute geblieben.

Mein heutiges Ich


In den letzten Tagen habe ich verstärkt darüber nachgedacht, eventuell nun doch eine Diagnostik anzustreben. Alle Tests, die ich bereits im www ausprobiert habe, zeigen mir auf, dass die Tendenz sehr stark zu autistischen Zügen geht. Zwischen 134 und 156 von 200 Punkten habe ich dort erreicht.
Werde in den nächsten Tagen mal im Web recherchieren, wer sich mit Autismus im Erwachsenenalter einigermaßen gut auskennt und dann weitere Schritte in Richtung Diagnostik anstreben. Leicht wird mir dieser Weg nicht fallen, aber ich brauche langsam nun wohl doch Antworten auf mein Anderssein. Möchte nicht immer nur als Verdachts-Autistin durch die Welt gehen.

All die Jahre habe ich mich irgendwie durch das Leben geschlichen, ich denke, ich habe nun einen Zeitpunkt erreicht, der mir Antworten auf all meine Fragen geben soll.

Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass ich ein unglückliches oder gar trauriges Leben hatte. Es war einfach anders. Anstrengend, mit viel Druck. Druck, den ich mir meistens selbst auferlegt habe, um so zu sein wie all die anderen.
Es gab Zeiten in meiner Kindheit, die sind mit sehr viel schönen und glücklichen Erinnerungen verbunden. Ich hatte Eltern, die mich immer so genommen haben, wie ich bin. Die mich liebten, so wie ich bin. Aber wie es oftmals so ist, bleiben die Erinnerungen, die einem oftmals Probleme bereitet haben, stärker in Erinnerung als andere.

Ich habe meinem jüngsten Sohn schon jetzt sehr viel zu verdanken, denn aufgrund seiner Diagnose lerne ich mich jeden Tag neu kennen, entdecke jeden Tag neues an mir, an meiner Art. Bemerke, dass ich heute Dinge ganz anders anfasse und handhabe und es mir nun wesentlich leichter fällt, Dinge zu akzeptieren, anzunehmen und auch umzusetzen. Heute kann ich sagen :“Ich bin glücklich und zufrieden mit mir und mit meinem Leben“. Es ist ein sehr befreiendes Gefühl. Und das habe ich unter anderen oder vor allen Dingen meiner Familie zu verdanken, die mich so nimmt und so liebt, wie ich bin oder gerade deswegen.
Ich danke für einen liebevollen und verständnisvollen Mann und zwei wundervollen Kindern, die beide auf ihre Art besonders und einzigartig sind. 

Samstag, 6. April 2013

Mir fehlen die Worte


Es fällt mir immer schwer, den richtigen Anfang zu finden, wenn ich hier etwas niederschreiben möchte. Meine Gedanken wirren nur so um mich herum, damit ich einen vernünftigen Anfang finde. Die gleichen Probleme hatte ich auch früher in der Schule, wenn es darum ging einen Aufsatz zu schreiben. Das Thema wurde zwar vorgegeben, aber dennoch muss man erst einmal eine Einleitung finden und diese Einleitung in die Geschichte, in meine Geschichte fällt mir schwer. Ich möchte so viel schreiben, nur fehlen mir oftmals auch die richtigen Worte. Aber die fehlen mir eigentlich ständig. Von daher bin ich ein sehr schweigsamer Mensch. Vielleicht ist es auch nur die Angst, man könnte etwas Falsches sagen und möchte nicht belächelt werden. Meistens überlege ich immer zu lange, bis mir die richtigen Worte einfallen und dann ist es eben wieder zu spät. So ging es mir auch immer in der Schule, mündliche Beteiligung bei mir war gleich null.  Selbst wenn die Lehrer mich mal dran genommen haben, ohne das ich mich meldete, fehlten mir die Worte. Zum Glück hab es immer einige Schüler, die meinten, sie müssen auch zwischen quaseln, wenn sie gar nicht dran waren, das ersparte mir das lange Schweigen. Was ich nie verstanden habe und auch heute noch nicht verstehe, ich kenne die Antwort und traue mich dennoch nicht die Antwort zu geben, aus Angst, sie könnte falsch sein. Im Nachhinein ärgerte es mich immer, wenn dann andere meine Antwort vorsagten. Warum habe ich es denn nicht gesagt? Auch gab es mal falsche Antworten von einigen Schülern, manchmal wurde darüber gelächelt, aber doch eher selten. Also wovor nur hatte ich Angst. Mich hätte sicher auch keiner ausgelacht, oder doch? Hätten sie bei mir gelacht, weil ich sowieso selten etwas von mir gab.
Ich war so froh, dass ich eine richtig gute Freundin in meiner Klasse hatte. Auch gab es in der Grundschule noch einen Jungen, der in unserer Nachbarschaft wohnte. Mit diesem verstand ich mich auch sehr gut, aber das hat mich nie gewundert, denn ich hatte immer das Gefühl, das ich mit Jungs bessere Gespräche führen könne, als mit Mädchen. Vielleicht lag das auch daran, das ich mit drei Brüdern aufgewachsen bin. Jungs wollten bei ihren Unterhaltungen nie genaue Details besprechen, es reichte aus, wenn man sich für Fußball interessierte und keine dummen Kommentare abgibt. Und über Fußball konnte ich sehr gut sprechen, denn ich kam aus einer sehr fußballbegeisterten Familie. Am Wochenende wurde im Radio die Liveübertragung gehört, da durfte niemand zwischen sprechen, damit mein Vater auch jeden Kommentar mitverfolgen konnte. Abends im TV kam dann die Sportschau, auch da mussten wir Kinder ruhig sein. War auch nicht so schwierig, schließlich interessierten sich meine Brüder auch für Fußball und so hatte ich meine Ruhe, reden wollte ich eh nicht viel. Aber ich bekam immer genug mit, damit ich mein Fußballwissen mit dem Jungen aus meiner Klasse austauschen konnte. So hatten wir immer ein Thema, über das wir uns unterhalten konnten. Meistens fanden diese Unterhaltungen allerdings auf dem Nachhauseweg aus der Schule statt, denn in der Schule redete er kaum mit mir, da hatte er seine anderen Freunde. Aber der Nachhauseweg gehörte nur mir und diesem Jungen. Ich denke gerne an diese Zeit zurück.
Die Schule war so eine Zeit, da bin ich einfach durchmarschiert. Ich ging nie gern in die Schule, aber es gehörte halt dazu. Klassenfahrten fand ich ganz schlimm, aber ich musste an jeder teilnehmen und immer ohne meine beste Freundin. Das war die Hölle. Sie durfte nie mit auf Klassenfahrt, ihre Eltern haben es immer verboten. Früher glaubte ich halt, es läge an den finanziellen Mitteln in ihrer Familie, aber viele Jahre später habe ich den wahren Grund dafür erfahren. Der Vater wollte die Kontrolle über „seine Mädchen“ behalten. Meine Freundin hatte noch weitere 6 Geschwister, drei Schwestern und drei Brüder. Der Vater hat alle Mädchen sexuell missbraucht. Ich mochte ihren Vater immer sehr gerne leiden, er war ein sehr liebenswerter Mensch. Darüber darf ich gar nicht nachdenken, wie man sich täuschen kann und wie die äußere Fassade eines Menschen den Durchblick ins Innere verwehrt. Fast 15 Jahren nach diesen Übergriffen hat meine Freundin mit mir darüber gesprochen und ich war (wie immer) sprachlos. Aber ich verspürte in diesem Moment auch Gefühle, die ich nicht beschreiben kann. Hass auf den Vater, Mitleid für meine Freundin und ihre Schwestern. Es schwirrten in diesem Moment wieder so viele Fragen durch meinen Kopf, aber ich war nicht fähig sie zu stellen. Auch tröstende Worte konnte ich nicht finden. Also saßen wir nach dieser Offenbarung von ihr einfach nur schweigsam zusammen. Vielleicht war es in diesem Moment auch richtig, einfach nur zu schweigen. Dennoch waren meine Gedanken und Überlegungen die ganze Zeit, was sage ich jetzt nur. Wie finde ich die richtigen Worte. Aber ich fand sie nicht. Immer, wenn ich an dieses Gespräch zurückdenke, dann hoffe ich, dass dieses Schweigen meine Freundin nicht noch mehr verletzt hat. Denn verletzten wollte ich nie jemanden. Deswegen muss ich auch immer so lange nachdenken, bevor ich in traurigen Situationen einen Kommentar abgebe. Ich habe immer Angst, die falschen Worte zu benutzen. Manchmal muss man ja auch keine Worte finden, dann reicht im richtigen Moment wohl eine tröstende Umarmung. Aber leider kann ich auch dies nicht wirklich. 

Mut zum Leben


Schon früh habe ich gespürt, dass ich nicht so bin wie andere. Aber was hat mich von den anderen unterschieden?
Niemand hatte wirklich etwas an mir auszusetzen, zumindest hat man es mir nie direkt gesagt. Ich war ja auch nicht auffällig, wie man es sich vielleicht vorstellt. Meinen Kummer und meine Sorgen hab ich in mir reingefressen. Mit wem sollte ich denn auch darüber reden und über was genau sollte ich reden? Ich wusste doch selbst nicht, warum ich etwas anders ticke. Wem sollte es denn auch auffallen, das ich mich immer und überall fremd fühle, von Ängsten umgeben war? In unserer Familie bzw. Verwandtschaft und auch im Freundeskreis meiner Eltern waren überall nur Jungs. Ich wurde überall nur als das kleine schüchternde Mädchen angesehen. Meine ein Jahr jüngere Cousine war ein quicklebendiges immer fröhliches und wildes Mädchen. Da sagte man schon sehr früh, an ihr wäre wohl ein Junge vorbeigegangen. Aber bei mir? Nein, da kam nichts. Ich war scheinbar das Bilderbuch-Mädchen: immer lieb, ruhig, zurückgezogen. Als ich etwas älter war, so im Teenageralter, kamen dann schon hin und wieder mal Sprüche wie z.B. „Schau mal etwas freundlicher“ – „Du igelst dich hier richtig ein“ oder „Willst du nicht auch mal in einen Verein“.
Bei dem Satz „Schau mal etwas freundlicher“ habe ich nie so Recht verstanden, wie es gemeint war. Oft habe ich mich vor dem Spiegel gestellt und gefragt, wie schaut man denn freundlicher? Ich habe versucht, meine Mundwinkel so weit nach oben zu schieben, damit ein Lachen zum Vorschein kommt, aber statt dessen war da nur eine verzerrte Grimasse zu erkennen. Dieses „Schau mal freundlicher“ verfolgt mich eigentlich noch bis heute. Wie oft musste ich Fragen ertragen wie „Bist du sauer? Hast du schlechte Laune? Berückt dich irgendetwas?“ – Nein, ich schaue immer so. Oft habe ich heimlich vor dem Spiegel geübt, wie man freundlich ausschaut. Es gibt viele Kinderfotos von mir, auf denen schaue ich traurig, weine aber es gibt wirklich nur sehr wenige Fotos von mir, auf denen man ein kleines Lächeln drauf erkennen könnte. All diese Dinge tauchen nun immer häufiger in meinen Gedanken auf.
Als Teenager habe ich mir oft die Frage gestellt, wie es wäre, wenn man Tod ist. Ich müsste mich nicht mehr so durch das Leben quälen. Wie sehr habe ich mir Freunde gewünscht, mit denen man durch Dick und Dünn geht, denen man alles anvertraut, Freunde, die einfach mal vorbei kommen und fragen, ob wir etwas gemeinsam unternehmen wollen. Ich saß zu Hause….habe viel gelesen, meistens aber nur starr rumgesessen und alles um mich herum vergessen. Irgendwann habe ich angefangen zu malen, aber auch da zeigte ich nicht besonders viel Talent. Als ich anfing Tagebuch zu schreiben, traute ich mich nicht wirklich, meine Gedanken dort niederzuschreiben. Die Angst, meine Mutter könnte das Tagebuch finden und darin lesen, der Gedanke war für mich unerträglich. Also schrieb ich nur irrelevantes zeugs rein, aber nichts, was wirklich in ein Tagebuch gehört. Meine Gedanken speicherte ich einfach in meinem Kopf ab, das war für mich der sicherste Speicher, in dem niemand reinschauen konnte. Ich verbrachte sehr viel Zeit mit meiner Cousine, die mich auch fast überall mit hin nahm, aber als sie dann anfing, flügge zu werden und ihre ersten Scheunen- und Schulfeten auf dem Programm standen, da wollte ich nicht mehr mithalten. Also ging sie an den Wochenenden auf Feten und ich saß wieder allein zu Haus. Immer wieder erzählte sie mir von den tollen Feten und warum ich nicht auch mal mit wollte. Ich lies mich überreden und ging mit. Es war die Hölle. Diese vielen Menschen, diese laute Musik, alle redeten Durcheinander, man verstand sein eigenes Wort nicht. Wie konnte man sich in solch einer Atmosphäre wohl fühlen? Ich verstand es nicht, aber alle anderen lachten, erzählten und schienen sich prächtig zu amüsieren. Nun hatte ich das Problem, das ich nicht einfach wieder gehen konnte. Mein Onkel hatte uns zu dieser Dorffete gefahren und ich schlief dieses WE auch bei meiner Cousine, also musste ich ausharren, bis wir abgeholt wurden. Ich verbrachte viel Zeit draussen an der frischen Luft, so dass der Lärm nur noch im Hintergrund zu hören war und nicht durch meinen ganzen Körper vibrierte. Nie wieder hat mich jemand auf so einer Scheunenfete gesehen. Die ganze Nacht konnte ich nicht schlafen, immer wieder fragte ich mich, was finden alle so toll an extrem lauter Musik, diesem rumgetanze und dem gegenseitigen Anschreien, da eine normale Unterhaltung ja nicht möglich war. Warum empfinde ich es so als Qual, wenn sich doch alle anderen darüber freuten und neue Termine für die nächsten Feten klar machten? Das war absolut nicht meine Welt.
Auch der Montag in der Schule war immer die Hölle. Alle erzählten, was sie so an den Wochenenden gemacht haben? Warum mussten alle immer irgendetwas unternehmen? Ist das Wochenende nicht dafür da, das man sich von der stressigen Schulwoche erholen konnte? Keinen Druck verspürte? Frei von Verpflichtungen?
Auch wurde ich sehr wenig zu Geburtstagen eingeladen. Darüber machte ich mir zur damaligen Zeit aber auch keine Gedanken. Es war halt so, wollte ja sowieso nicht und so musste man sich auch keine Ausreden einfallen lassen, warum man keine Lust hatte. Ich habe meine Geburtstage nie gefeiert. Natürlich kamen an meinem Geburtstag immer die Verwandten zu Kaffee und Kuchen vorbei, aber das war mir eigentlich egal. Sie saßen ja nur da und erzählten von Gott und die Welt. Ich hatte keinerlei Verpflichtung an diesen Tagen, außer das ich mich für die Geschenke bedanken musste. Manchmal hab ich es nicht verstanden, wenn da Dinge drin waren, die ich mir gar nicht gewünscht habe. Aber ich habe ja gelernt, das man sich aus reiner Höflichkeit für jedes Geschenk bedankt und nie eine Bemerkung macht, wenn es einem nicht gefällt. Da ich keine Kindergeburtstage feierte, kamen auch keine Kinder und so haben mich halt auch andere Kinder nicht eingeladen. Diesen Standpunkt habe ich immer vertreten. Auf die Idee, das mich von meinen Schulkameraden vielleicht gar keiner als Freundin richtig angesehen hat und ich deshalb keine Einladungen bekam, da wäre ich wohl nie drauf gekommen. All diese Sachen kommen nun wieder in mir hoch, da ich es gerade bei meinem Sohn wieder erlebe. Allerdings hat er jetzt schon mehr Freunde in der Schule, als ich jemals hatte. Auch Einladungen bekommt er regelmäßig, aber nur zu den wenigsten geht er hin. Wir sind uns doch ziemlich ähnlich J
Ich habe ja vorhin schon geschrieben, dass ich sehr viel über den Tod nachgedacht habe. Unzählige Male habe ich überlegt, auf welche Art und Weise ich mein Leben beenden könnte. Aber ich war vielleicht zu mutig. Ich habe mich nie als Feige angesehen. Meine Sichtweise war jene, das ich glaubte, nur wer feige ist, der beendet sein Leben und die Mutigen stellen sich ihren Herausforderungen. Ich gehörte also zu den Mutigen. Ich hatte Mut zum Leben.

Donnerstag, 4. April 2013

Herbstgedanken

Der Herbst hat eine faszinierende Wirkung auf mich. Als Kind glaubte ich, das es daran liegt, weil ich im Herbst geboren bin. Aber daran liegt es natürlich nicht, denn wie viele Menschen sind im Winter geboren und lieben den Sommer. Ich mag keine Menschenaufläufe, sie schrecken mich irgendwie ab. Oftmals muss ich mich überwinden damit klar zu kommen, aber es ist eine schwere Stressbewältigung in diesem Moment. Auch die Zeit davor kann ich keine klaren Gedanken fassen, immer drehen sich meine Gedanken darum, dass ich bald wieder auf viele fremde Menschen treffen werde. Dies ist auch im Sommer so, wenn man zum Baden fahren möchte, alles überlaufen. Man fährt in Urlaub und findet überfüllte Urlaubsorte. Im Herbst mache ich meine Spaziergänge an Seen und in Wäldern. Hin und Wieder trifft man andere vereinzelte Menschen, die ebenfalls die letzten herbstlichen Sonnenstrahlen genießen wollen, mit ihrem Hund bzw. mit ihren Kindern spazieren gehen oder Jogger und Nordic-Walker. Dies macht mir keine Angst, denn ich weiß, sie gehen auch nur ihren Weg, vielleicht hin und wieder mal ein höfliches „Hallo“ und das war es. Auf Veranstaltungen, an Badestränden etc. ist man für längere Zeit an diese fremden Menschen gebunden, ist manchmal gezwungen Smalltalk zu führen. Selbst wenn ich mit sehr guten Freunden an solchen Orten bin, fühle ich mich nicht wohl, aber sie bieten mir eine gewisse Art von Sicherheit. Nicht alle Veranstaltungen lassen sich vermeiden, oftmals geht dies, da es ja freiwillig ist, aber nicht immer…. z.B. Familienfeiern in größerem Rahmen (kleinere Feiern machen mir nicht all zu viel aus), geplante Aktionen in Kindergarten/Schule (man möchte sein Kind ja unterstützen) oder auch Betriebsfeiern, Elternabende, etc. Natürlich müsste ich nicht zu Elternabenden gehen, aber als Mutter habe ich auch eine Verpflichtung, über mein Kind und die Planungen in der Schule informiert zu sein. Also sehe ich dies als eine Art von Pflichtveranstaltung. Früher bei den Elternabenden an der Schule meines ältesten Sohnes war es schlimm. Es wurde ein Eltern-Stammtisch gegründet und man traf sich regelmäßig. Zum ersten Stammtisch bin ich auch gegangen (ich sah es einerseits wieder mal als Pflicht an und zum anderen dachte ich, so kann man auch die Eltern der Freunde seines Kindes kennen lernen und vielleicht ergeben sich so auch Freundschaften). Da ich grundsätzlich nicht der Typ Mensch bin, der auch andere zugeht und auch meist immer nur ein stiller Zuhörer bin, können sich so natürlich keine Freundschaften finden. Ich wunderte mich immer nur, warum die anderen zu viel zu erzählen hatten. Außer ein „Ja, das kenne ich auch“ oder so ähnlich, konnte ich keine Kommentare abgeben. In meinem Kopf arbeitete es immer so dermaßen, das meine Sätze auf eine Frage bzw. Kommentar so verzögert waren, das die anderen bereits bei einem anderen Thema waren und mein Kommentar nun nicht mehr gepasst hätte. Frei heraus etwas sagen, ohne über meine Wortwahl nachzudenken, das konnte ich nicht. Heute funktioniert dies bereits wesentlich besser. Smalltalk mag ich immer noch nicht besonders gerne, bin auch froh, wenn dieser wieder beendet ist, aber ich kann inzwischen mit anderen sehr gut und lange kommunizieren, aber es muss ein interessantes Thema sein und vor allem, ich muss die Personen kennen. Es müssen keine Freunde sein, aber dennoch muss ich erst etwas über diese Person wissen, bevor ich mich zu einem Gespräch hinreißen lasse. Wenn ich irgendwo neu bin, dann beobachte ich lieber sehr viel und sehr lang. Ich stehe nicht gerne im Mittelpunkt und versuche dies auch immer zu vermeiden. Leider gelingt es mir nicht immer, dazu engagiere ich mich seit längerer Zeit auch zu viel mit dem Thema „Autismus“. Wer Öffentlichkeitsarbeit macht, egal in welcher Art und Weise, muss damit rechnen, das man hin und wieder im Mittelpunkt steht. Im Laufe der Zeit habe ich auch damit gelernt, einigermaßen umzugehen. Meine Art, wie ich mich heute gebe, ist eine andere als früher. Ich habe sehr viel über mich gelernt, über meine Art und versuche es immer in einer für mich angenehmen und zu ertragenden Art umzusetzen. Inzwischen habe ich aufgrund meiner Öffentlichkeitsarbeit sehr viele Eltern von autistischen Kindern und auch erwachsene Autisten kennen gelernt und ich fühle mich dort immer verstanden. An ihnen ist mir nichts fremd. Ich fühle mich in der Gegenwart dieser Menschen immer sehr befreit und angenommen. Ich habe sehr viel an eigene Sicherheit gewonnen. Viele meiner heutigen Eigenschaften habe ich mir antrainiert, wie z.B. meine Art von Blickkontakt halten, auch wie ich ein Smalltalk beginne, damit ich nicht als „graue Maus“ in der Ecke stehe, wenn ich wieder einmal irgendwo fremd bin. Diese Unterhaltungen kosten mir sehr viel Überwindung, aber ich lerne und lerne und lerne. In den letzten zwei Jahren habe ich auch viele Menschen kennen gelernt, die ich inzwischen zu meinen besten Freunden zähle, aber all diese Menschen haben etwas mit Autismus zu tun und sei es nur auf beruflicher Ebene oder als betroffenes Elternteil. Aber diese Menschen möchte ich auch nicht mehr missen. Sie sind mir wichtig geworden,  so wichtig wie der Herbst mit all seinen Facetten.  

Dienstag, 2. April 2013

Offener Brief zum Weltautismustag 2013



So, hier ist der offene Brief. Der Brief ist eine Gemeinschaftsarbeit der Protestaktion zum Weltautismustag gegen dieVerwendung des Wortes "Autismus" im Zusammenhang von Politik, Wirtschaft und Amokläufen 
und darf nur in dieser Form und mit Hinweis auf diese Gruppe weitergegeben werden. Auch Teilauszüge dürfen nur unter den genannten Bedingungen veröffentlicht werden.
Hier der Link zum Brief: Offener Brief zum Weltautismustag 2013

Montag, 1. April 2013

Protestaktion gegen das Wort "Autismus" in den Medien

Diese Protestaktion, der ich sehr interessant und aufmerksam folge, hat mir das i-Tüpfelchen gegeben, das mir die ganze Zeit fehlte, um einen eigenen Blog zu eröffnen. Von daher möchte ich, bevor ich weiter über mein Ich schreibe, gerne etwas über und von dieser Protestaktion hier wiedergeben.
Ich werde das meiste einfach nur reinkopieren aus der Veranstaltung, die bei Facebook läuft, viele Links dazu mit einbringen, denn ich werde es so mit eigenen Worten gar nicht wiedergeben können, möchte ich auch gar nicht, denn es wäre nicht fair, die Arbeit all derer hier einfach nur umzuformulieren. Also werde ich alles gesammelte hier einfach mal reinsetzen und präsentieren:

Mit diesem Aufruf bei FB fing alles an:
Wir möchten zum Autismustag eine Aktion starten die sich lautstark gegen diese Art Umgang mit dem Begriff Autismus wehrt. Es nimmt überhand. Politiker, Journalisten und Wirtschaftsbosse benutzen den Begriff ohne darüber nachzudenken welches Bild dadurch vom Autismus geprägt wird. Viele Menschen denken heute bei Autismus spontan an "Rainman" (was so auch schon nicht richtig ist), bald werden sie bei diesem Begriff an Amokläufe, widerspenstige Politiker usw. denken. Lasst uns was dagegen unternehmen. In geschlossenen Foren und kleinen Gruppen werden wir nicht gehört. Postet hier Ideen wie wir uns mit diesem Anliegen lautstark bemerkbar machen können. Wir möchten nicht in Verbindung gebracht werden mit Eigenschaften wie Rücksichtslosigkeit, Egozentrik, Realitätsferne und Empathielosigkeit, für die Autismus immer häufiger in den Medien als journalistisches Stilmittel benutzt wird.

Daraufhin haben viele Autisten und auch Eltern von autistischen Kindern einen Protest gestartet in Form von Fotos, die alle an sich sehr schön sind und auch alle in den verschiedenen Alben bei FB und auch in Blogs, HPs, Foren etc. wiederzufinden sind.
Auch dieses Video ist aufgrund dieser Protestaktion entstanden:

Aspie e.V. hat sogar eine Stellungnahme veröffentlicht "Gegen diskriminierende Darstellungen von Autisten in den Medien, 28.03.2013:

Am 02.04.2013 zum Weltautismustag wird ein offener Brief weltweit veröffentlicht, der von vielen Teilnehmern dieser Veranstaltung gemeinsam ausgearbeitet wurde. Diesen Brief werde ich hier dann auch noch zeigen.