In meinen
ersten Posts habe ich ja schon erwähnt, dass ich sehr viel Zeit mit meiner
Cousine verbrachte. Sie war und ist der Mensch, der von Anfang an immer an
meiner Seite war. Ich habe sie nie als meine beste Freundin gesehen, obwohl wir
die meiste Zeit miteinander verbrachten. Sie war einfach meine Cousine und das
war auch gut so. Ich habe sie als Kind immer bewundert. Sie war so erfrischend,
so frei heraus. Sie hatte soviel Energie (und das bis heute noch) ins sich und
konnte einen damit auch teilweise ganz schön anstecken. Oftmals wurde es mir
auch zuviel. Ich genoss die Zeit, die ich mit ihr verbrachte, so lange es eine
ruhige Zeit war. Natürlich ist es schwer, diesem Energiebündel viel ruhige Zeit
abzugewinnen, aber da ich immer nur in den Nachmittagsstunden bei ihr war,
hielt es sich in Grenzen. So konnte sie sich morgens in Kindergarten/Schule
schon einmal ordentlich auspowern und wir konnten die erste Zeit immer ruhig
angehen. Oftmals sah ich ihr einfach auch nur zu, wenn sie wieder so
energiegeladen umher lief. Was hätte ich damals dafür gegeben, einmal so zu
sein, wie sie.
Meine
Cousine wurde ein Jahr nach mir eingeschult und ich freute mich bereits darauf,
endlich in den Pausen jemanden an meiner Seite zu haben. Ich war ja ein sehr
ruhiges Kind, auch in der Schule und Freunde hatte ich im ersten Schuljahr noch
keine gefunden, außer unseren Nachbarsjungen. Aber dieser ging halt morgens nur
mit mir gemeinsam zur Schule und anschließend auch wieder nach Hause. Nachmittags
haben wir manchmal zusammen gespielt, aber in der Schule war es so, als würden
wir uns nicht kennen. Zumindest war dies mein Eindruck und so verbrachte ich in
der ersten Klasse meine Pausen immer nur allein mit meinem Schulbrot und
wartete auf den erlösenden Gong, das es endlich im Unterricht weiterging. Als
dann endlich meine Cousine eingeschult wurde, änderte sich meine Einstellung zu
den Pausen. Plötzlich war immer jemand an meiner Seite und ich fand kaum noch
Zeit, mein Brot zu essen. Ich fing an, dass mir die Schule Spass machte. Ich
war eine Durchschnittsschülerin im ersten Schuljahr. Ich lernte Lesen und
Schreiben und hatte keine Schwierigkeiten, dem Unterrichtsstoff zu folgen. Nur
mündliche Beteiligung fehlte halt.
Zu meiner
Schulzeit gab es ja noch Zensuren ab der 1. Klasse und auch samstags fand noch
Unterricht statt. Meine Zensuren lagen alle bei 3 und 4. Besser ging es halt
nicht. Wobei ich die Hauptfächer mit 3 absolvierte und die Nebenfächer alle
eine 4 abbekamen. Meine Cousine hingegeben brachte in der 1. Klasse nur Einser
mit nach Hause und dementsprechend sah auch ihr Zeugnis aus. Wow, so ein
Zeugnis wollte ich auch haben und so fing ich an, mehr an mir und meinen
Leistungen zu arbeiten. Es funktionierte.
Ich werde
den Tag nie vergessen, meine Cousine war nun in der 2. Klasse und ich kam
nachmittags zu ihr und fand sie nirgends. Niemand wusste, wo sie war. Keiner
hatte sie nach der Schule mehr gesehen. Irgendwann fand ich sie im Haus ihrer
Eltern hinter dem Sofa versteckt. Sie sah total verheult aus. Dann erzählte sie
mir, dass sie eine 5 im Diktat geschrieben hat und sich nicht traute, es ihren
Eltern zu sagen. Ich ging zu meinem Onkel und erzählte es ihm. Es gab natürlich
keinen Ärger, wie von meiner Cousine erwartet. Aber von diesem für sie wohl
schockierendem Ereignis, fing sie an zu stottern. Zumindest ist es mir da zum
ersten Mal aufgefallen. Die Stotterei wurde ihr plötzlich zum „Verhängnis“. Sie
wurde von allen Kindern gehänselt. In der Schule ging es bergab. Meine Cousine
brachte keine Note, die besser war als 4, mit nach Hause. Diktate waren mit
einer 5 schon etwas Gutes. Himmel, was war nur passiert. Sie war in der 1.
Klasse eine super gute Schülerin, nur Einser und nun dies. Mein Onkel und meine
Tante fingen auch an, sich Gedanken zu machen und fuhren mit meiner Cousine von
einem Arzt zum nächsten, angefangen beim Kinderarzt, HNO, Psychiater, etc. Nach
fast einem Jahr wurde bei meiner Cousine eine Lese- und Rechtschreibschwäche
festgestellt. Während ich immer besser wurde in der Schule (zumindest, was
meinen Notendurchschnitt anging), verschlechterte sich bei meiner Cousine
anfangs alles. Es wurde über einen Schulwechsel nachgedacht. Für mich ging die
Welt unter. Aber alle haben die Rechnung ohne meine Cousine aufgemacht. Sie ist
eine Kämpferin. Neben ihren Therapien, die sie von nun an bekam, fragte sie
mich, ob ich ihr beim Lernen helfen könnte. Natürlich machte ich dies. In der
Schule entwickelte sie ihre eigenen Praktiken, damit sie den Klassenerhalt
schafft und nicht die Schule wechseln musste. So ging sie frei heraus zu ihren
Lehrern und besprach mit denen, ob es in Ordnung wäre, das sie der Lehrerin
z.B. bei Aufsätzen diesen diktieren könnte, dann wären keine Fehler drin und
die Lehrerin könne sich voll und ganz auf den Inhalt des Aufsatzes
konzentrieren. Die Lehrer waren so begeistert, das die Diagnose meine Cousine
nicht auch in ein tiefes Loch stürzte und unterstützten sie, gaben ihr
Hilfestellungen und Arbeitserleichterungen, dass meine Cousine weder die Schule
wechseln musste, noch ein Schuljahr irgendwann wiederholte. Sie blieb zwar die
ganzen Jahre „nur“ auf der Hauptschule, aber sie hatte einen Abschluss und fand
auch schnell eine Ausbildungsstelle. In all den Jahren habe ich meine Cousine
versucht zu unterstützen und sie hat es mir immer gedankt, in dem sie auch mir
immer helfend zur Seite stand. Aus uns wurde ein gutes Team und das sind wir
auch heute noch. Nur sehen wir uns natürlich seltener, aber wir sind immer
füreinander da.
Trotz
alledem habe ich noch nie mit ihr über meine Gefühls- und Gedankenwelt
gesprochen. Sie hat mich immer so angenommen wie ich war/bin. Vor einigen
Jahren hat sie mir sogar erzählt, dass ich immer ihr Vorbild war in all den
Jahren und sie sich oftmals gewünscht hätte, so zu sein wie ich. Ob dies
wirklich so stimmt, wer weiß….aber es war ein gutes Gefühl zu Wissen, das es
Menschen gibt, die einen so mögen, wie man ist und sich nicht verstellen muss.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen