Montag, 17. Juni 2013

Meine Schulzeit

Nun noch mal etwas zu meiner Schulzeit, die nicht wirklich aufregend war, aber bei mir nun doch immer wieder öfter in den Vordergrund meiner Gedanken rückt, gerade auch, weil ich parallelen zu meinem Sohn entdecke.

Ich gehörte zu der Sorte von Kindern, die unbedingt in die Schule wollten, um Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen. Einen anderen Sinn hatte die Schule für mich eigentlich nicht. Das ganze Zeremoniell der Einschulung verstand ich nicht, es flösste mir sogar Angst ein. Ich fühlte mich überhaupt nicht wohl in meiner Haut. Da sollte ich mir morgens ein Kleidchen anziehen, damit ich auch wie ein richtiges kleines niedliches Schulmädchen aussah. Ich war ja eigentlich immer der Hosentyp und das ist auch bis heute so geblieben. In Kleidern fühlte ich mich nie wohl, aber als Mädchen musste ich halt hin und wieder in diese mir unbequeme Rolle schlüpfen. So auch an diesem Tag. Also gingen wir morgens los mit meinem neuen Ranzen auf dem Rücken, der mich ganz stolz machte und einer gefüllten Schultüte, die ich mit mir rumschleppen sollte. Es ging zur Kirche. Furchtbar, was sollte ich denn in der Kirche lernen? Ich mochte die Kirche nicht, auch sie flösste mir irgendwie Angst ein. Weihnachten ging ich immer gerne in die Kirche, das machte mir auch nichts aus, aber an diesem Tag wirkte sie so groß und ich fühlte mich so klein. Dann musste ich auch noch in der ersten Reihe sitzen, wie alle anderen Schulanfänger auch. Ich mochte es nie, wenn ich im Mittelpunkt stand, und dies war wieder so ein Tag, ein besonderer Tag, in dem man im Mittelpunkt stand, nur damit man endlich in die Schule durfte. Am Ende des Gottesdienstes erhielten alle Schulanfänger noch leuchtende orange-farbende Kopfbedeckungen. Das fand ich cool, bis zu dem Moment, als ich meine Kopfbedeckung erhielt. Die Jungs erhielten alle ein Cap und wir Mädchen ein Kopftuch. Aber ich wollte auch ein Cap und nicht so ein doofes Kopftuch. Der Schuleinstieg fing ja gut an, ich war enttäuscht.
Der erste Schultag war sowieso total enttäuschend. Ich kam zwar mit zwei Kindern in eine Klasse, die ich aus meiner Nachbarschaft kannte und die Lehrerin schien auch sehr nett zu sein, ansonsten war aber alles sehr chaotisch an diesem Tag. Ich lernte ja nichts. Alle anderen freuten sich bei, schließlich wurde in der Schule gefeiert, es gab die Schultüten und wir mussten uns für ein Foto aufstellen. Alles Dinge, die ich nicht mochte, aber über mich ergehen lassen mussten, wie noch vieles mehr in dieser Schulzeit. Ich war die kleinste in meiner Klasse und wurde schon früh deswegen immer wieder aufgezogen. Hinzu kam meine ruhige Art, ich sagte ja auch kaum etwas. Alle hatten schon ihre Freunde gefunden, nur ich nicht. Außer unseren Nachbarsjungen gab es für mich niemanden in der Klasse, der mal mit mir sprach. Ich schreckte jedes Mal zusammen, wenn die Lehrerin meinen Namen aufrief, damit ich auch mal etwas sagen sollte, da meine mündliche Beteiligung sehr zu wünschen übrig lies. Aber ich bekam kaum einen Ton raus. Dies änderte sich auch in den nächsten Jahren nicht. Mündliche Beteiligung war bei mir gleich null.
In der 2. Klasse kam dann ein neues Mädchen in unsere Klasse. Diese kannte ich schon, da sie in die Nachbarschaft meiner Cousine gezogen war. Ich mochte dieses Mädchen auf Anhieb und sie mich wohl auch. Sie wurde meine beste und einzige Freundin, die ich während meiner gesamten Schulzeit hatte. Sie war auch meine Motivation, warum ich mich nach der Grundschulzeit weigerte, auf eine höhere Schule zu gehen. Ich setzte mich gegen meine Eltern durch und blieb auf dieser Schule, die auch einen Hauptschulzweig hatte. Das es nicht nur an dieser Freundin lag, sondern wohl auch an meinen Ängsten, mich an einer anderen Schule wieder neu orientieren zu müssen, das sah ich in diesem Moment ja noch nicht.
Sport war für mich die schlimmste Unterrichtsstunde. Leichtathletik mochte ich relativ gern, aber leider machten wir dies immer relativ selten, halt nur, wenn wieder im Sommer Bundesjugendspiele angesagt waren und wir uns dafür mächtig ins Zeug legen mussten. Ich schaffte es auch immer, eine Urkunde in Leichtathletik mit nach Hause zu bringen. Laufen war mein Ding. Während ich lief, war ich für mich allein, ich sah niemanden anderes um mich herum und ich lief und lief und lief und kam immer mit als erstes ans Ziel. Im Nachhinein erinnert mich mein Laufen immer an Forrest Gump. Ich höre immer wieder diese Stimme: „Lauf Forrest Lauf!“ – Es war mir auch egal, ob wir Marathon liefen, oder Kurzsprint oder sogar Hürdenlauf, Hauptsache ich konnte laufen. Aber leider hatte der Sport nicht nur mit Laufen zu tun. Geräteturnen fand ich noch schlimmer, als die Spiele, die wir immer nach dem Turnunterricht noch machten. Wenn es um Mannschaften auswählen ging. Ich wurde immer als letzte in ein Team gewählt. Ausnahmen gab es nur, wenn meine Freundin mal ein Team auswählen durfte, sie nahm mich immer sofort in ihr Team mit auf. Schlimm fand ich auch immer die Akustik, die eine Sporthalle so mit sich brachte, wenn mehrere Menschen sich darin befanden. Von daher kann ich momentan die Situation meines Sohnes sehr gut nachempfinden, denn er macht dies auch gerade durch. Nur mit dem Unterschied, das er wesentlich beliebter in der Schule ist, als ich es je war.

Pausen waren auch so eine Horrorvorstellung für mich. Das erste Schuljahr war das schlimmste, aber das habe ich ja schon einmal in einem vorherigen Posting geschrieben. Oftmals drückte ich mich in den Pausen, in dem ich „wichtige“ Aufgaben übernahm, die nicht unbedingt beliebt in der Schule waren. Aber so hatte ich die Möglichkeit, mich in den Pausen „zurückzuziehen“. Ich übernahm also den Schülerlotsendienst, oder was noch langweiliger für alle war, ich bewachte den „Kartenraum“. In diesem Raum wurden die ganzen Landkarten verstaut und in den Pausen brachten die Schüler diese Riesenkarten immer wieder zurück bzw. liehen sich diese für die nächste Unterrichtsstunde aus. Ich übergab also immer diese Karten bzw. ordnete sie bei Rückgabe wieder ein und notierte die Daten für den Verleih. Ich absolvierte diese Aufgabe mit einer solchen Gewissheit, dass ich es die ganzen Schuljahre hindurch machen durfte und es zu „meinem Raum“ wurde.  

Den Schulstoff bekam ich gut mit. Dies bereitete mir weniger Schwierigkeiten. Besonders leicht fielen mir die Fächer bzw. der Unterrichtsstoff, der mich interessierte. Aber auch bei den anderen Fächern blieb ich immer im guten Notendurchschnitt. Die Lehrer hatten auch nichts an meinen Arbeiten zu bemängeln, sie wollten mich nur mündlich immer aus der Reserve locken, auch mit Androhungen, wenn ich mich nicht besser mündlich einbringe, würde sich das auf dem Zeugnis bei den Zensuren bemerkbar machen. Und so endete es letztendlich auch, aufgrund meiner mündlichen Verweigerung erhielt ich auf dem Zeugnis immer eine Zensur schlechter.
Die erste Klassenfahrt (welche ich eigentlich gar nicht mitmachen wollte – schließlich durfte meine Freundin daran auch nicht teilnehmen) war auch so ein einschneidendes Erlebnis. Ich konnte mich nicht eingewöhnen, alles war neu, dazu fuhren wir auch noch mit einer zweiten Klasse gemeinsam und die Zimmer waren immer mit 6-8 Schülern zu belegen. Ich war total überfordert. Hatte keine Rückzugsmöglichkeit, keine Ruhe. Es war Stress pur. Während dieser Klassenfahrt musste ich aber dennoch hin und wieder mal herzlich lachen, weil eine Mitschülerin eine herrliche Anekdote erzählte. Ich lachte dermaßen lauf und fand gar kein Ende mehr. Dies fiel auch den Lehrern auf und sie mussten sofort einen für mich dummen Spruch abgeben. Ein Lehrer meinte: „Oh, unsere ... kann ja sogar herzlich lachen und auch reden“. Das haben sie danach wohl nicht mehr bei mir erlebt :-)

Die Schulzeit neigte sich nach der 9. Klasse dem Ende zu und ich musste mich nun entscheiden, wie es weiter gehen soll. Eine Ausbildung kam für mich nicht in Frage, was sollte ich denn werden mit einem qualifizierten Hauptschulabschluss? Eine Verkäuferin, die kaum ein Wort herausbrachte oder eine Friseuse, die mit ihren Kunden nicht kommunizieren konnte/wollte? Nein, das war nicht mein Ziel. Also sprang ich über meinen Schatten und wechselte doch noch auf eine höhere Schule, um zumindest meine mittlere Reife zu erhalten. Dies war natürlich ein großer Fehler. Denn in nur einem Jahr an einer mir vollkommen fremden Schule, mit fremden Mitschülern und fremden Lehrern. Bis ich mich einigermaßen an all diese neuen Umstände gewöhnt hatte, standen auch schon die Prüfungen an. In dieser Zeit hatte ich auch einen gesundheitlichen Aussetzer und fehlte 6 Wochen in der Schule. Meine Noten in diesem Jahr haben alle einen Sprung nach unten gemacht, dennoch sollte eine Vorprüfung bei mir entscheiden, ob ich zum Kolloquium zugelassen werde. Ich versemmelte diese Vorprüfung in Mathe, da meine Lehrerin natürlich nur Aufgaben von mir abverlangte, die ich in meinen versäumten 6 Wochen nicht mitbekam. Die Punkte in allen anderen Prüfungsfächern waren ausreichend, damit ich zugelassen werde, aber diese Arbeit in Mathe hat mich daran gehindert und so sollte ich die Schule verlassen ohne den Abschluss, den ich gebraucht hätte, um an der in dieser Schule angelehnten Gymnasialstufe mich auf mein Abitur vorzubereiten.
Meine Enttäuschung saß tief. Was sollte ich nun machen? Der Arbeitswelt wollte ich eigentlich noch nicht zur Verfügung stehen, es sei denn, ich hätte einen Beruf wählen dürfen, der mir Spaß gemacht hätte und wofür mein Abschluss ausreichend wäre. Aber das durfte ich nicht. Mein Traum war es, in einen damals noch typischen Männerberuf einzusteigen. Ich wollte in eine Tischlerei. Aber das ließ mein Vater nicht zu und so besorgte er mir einen Ausbildungsplatz in einer Anwaltskanzlei. Da gehörten Frauen schließlich auch hin und nicht in ein Handwerk, das nur der Männerwelt zur Verfügung zu stehen hat.
Als der letzte Schultag anstand und allen Schülern feierlich die Schulabschluss-Urkunde überreicht wurde, war mir sehr mulmig zu mute. Rechnete ich doch damit, dass ich die einzige war, die den Abschluss nicht geschafft hatte und somit eventuell auch nicht aufgerufen wird zur Übergabe. Das wiederum hätte mich nicht so gestört, aber die Vorstellung, dass alle tuschelten, weil ich als einzige bei der Übergabe sitzen bleibe, verursachte wieder dieses mulmige Gefühl in der Magengegend. Ich wollte nicht, dass man mich als Looser ansah. Aber auch ich wurde aufgerufen und man Übergab mir mit Gratulationswünschen das Zeugnis. Dieses Zeugnis ignorierte ich komplett, wusste ich ja, dass es „nur“ ein normales Zeugnis war, schließlich konnte ich am Kolloquium ja nicht teilnehmen und somit war die Übergabe bei mir nur ein weiteres Übel. Aber ich war froh, dass man mir dieses Zeugnis genau so überreichte, wie den anderen und ich somit nicht zur „Nullnummer“ bzw. zum Looser auserkoren wurde.
Wenige Tage nach der Zeugnisübergabe brachte ich eine Kopie zu meiner neuen Ausbildungsstelle, damit ich meinen Ausbildungsvertrag unterzeichnen konnte, den meine Eltern ja auch gegenzeichnen mussten, da ich noch nicht volljährig war. In diesem Vertrag stand drin, dass die Ausbildungszeit zweieinhalb Jahre andauert und ich dann nach erfolgreicher Prüfung Rechtsanwalts- und Notargehilfin* bin. Dies korrigierte ich mündlich, in dem ich sagte, dass ich drei Jahre lernen müsse, da ich ja „nur“ einen Hauptschulabschluss habe. Mein zukünftige Chefin schaute sich daraufhin mein Zeugnis an und meinte nur: „Aber sie haben doch die mittlere Reife!“ – Ich sagte nichts weiter und versuchte nur ein Lächeln auf mein Gesicht zu zaubern. Meine Eltern und meine zukünftige Chefin unterschrieben den Vertrag und wir gingen wieder nach Hause. Ich wiederum mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend. Zuhause schaute ich mir mein Zeugnis genauer an. Mir wurde ein „falsches“ Zeugnis ausgestellt. Ohne durch die Prüfungen gegangen zu sein, hatte ich meine mittlere Reife erhalten. Dieser Fehler war der Schule wohl irrtümlich unterlaufen, aber ich habe es nie korrigieren lassen. Schließlich war es das mindeste, was ich auf schulischer Ebene auch verdient habe. Es war der Abschluss, den ich auch erreicht hätte, wenn meine Mathelehrerin mir nicht diese fatalen Aufgaben gestellt hätte. Von daher fand ich in diesem fälschlicherweise ausgestellten Zeugnis eine Art Wiedergutmachung. Für eine Anmeldung in den Gymnasialzweig war es eh schon zu spät, also musste ich notgedrungen diesen für mich ungewollten Beruf erlernen.


* Nach Umstellung der Bezeichnung erhielt ich Jahre später auch eine neue Urkunde, in dem nun als Berufsbezeichnung steht: Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte, damals wurde die Bezeichnung „Gehilfe“ noch sehr häufig benutzt.


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