Wenn man
sich heutzutage darüber unterhält, ob man noch eine Diagnostik anstreben
sollte, dann hört man oftmals die Kommentare: „Wozu denn, bist doch bisher gut
durchs Leben gekommen“ oder „Immer diese Trittbrettfahrer“ oder „Wieder so eine
Modediagnose?“ oder “Diese Macken sind
doch wahrscheinlich nur durch dein Kind auf dich abgefärbt“. Zum Glück
musste ich mir dies noch nicht anhören, aber ich habe es schon von anderen in
einigen Foren und Gruppen gelesen, denen es ähnlich geht wie mir.
Aus der
Sicht anderer mag das vielleicht hinkommen, dass man bisher gut durchs Leben
gekommen ist. Aber weiß auch nur einer, wie man durchs Leben gekommen ist. Wie
schwer einem vieles gefallen ist, wenn man selbst nie wusste, warum es so war?
Gerade weil man ein autistisches Kind hat, sieht man sich teilweise darin
wieder. Es kommen Erinnerungen von früher zum Vorschein, man macht sich
Gedanken und findet wieder ein Puzzleteil, welches an die richtige Stelle
gelegt werden könnte.
Nach der
Diagnose hat mein Sohn Verhaltenstherapien erhalten und wir haben in den
Eltern-Therapiestunden vieles erfahren dürfen. Einige Kinder erhalten heute aufgrund
ihrer Diagnose eine Schulbegleitung, damit sie im Schulalltag etwas besser
zurecht kommen, die Eltern kämpfen und machen sich stark für ihre Kinder und
versuchen damit, ihren Kindern das Leben etwas zu erleichtern und lernen selbst
daraus. Sie gehen in Selbsthilfegruppen und speziellen Autisten-Foren zwecks
Erfahrungsaustausch. All das gab es früher nicht. Man musste also irgendwie zurecht
kommen und funktionieren. Eine Diagnose hätte wohl früher auch nicht den
gleichen Effekt gehabt, wie es heute bei unseren Kindern ist. Die Zeiten ändern
sich und von daher ist eine Diagnose heute keine „Modeerscheinung“ oder man ist
kein „Trittbrettfahrer“, nur weil man mit dem Wissen von Heute anders und besser damit umgehen kann.
Ich hatte
die meiste Zeit in meinem Leben immer jemanden an meiner Seite, der mir bei
meinen „Schwierigkeiten“ unbewusst geholfen hat. Anfangs waren es meine Brüder,
durch die ich immer beschützt wurde oder meine Cousine, die mir in der Schule
zur Seite stand. Auch meine beste Freundin aus Schulzeiten. Sie saß im
Unterricht nehmen mir und bot mir Sicherheit, im Unterricht und in den Pausen. Sie
begleitete mich durch meine gesamte Schulzeit und auch hinterher noch eine
lange Zeit. Wir wurden auch zur gleichen Zeit schwanger und so hatte ich sogar
in der Klinik eine vertraute Zimmernachbarin, die mir mit Rat und Tat zur Seite
stand. Auch meine Mutter spielte eine wichtige Rolle in meinem Leben. Sie nahm
mir Arbeiten ab, die mich teilweise überforderten. War mein Kind krank und
musste zum Arzt, so war sie immer dabei. Auch Veranstaltungen im Kindergarten
oder in der Schule, sie begleitete mich in dieser für mich schweren Zeit.
Spielplätze mochte ich überhaupt nicht, also ging sie mit meinem Kind dort hin
und beide hatten ihren Spaß und ich konnte mich in dieser Zeit etwas
zurückziehen. Auch bei den Einkäufen begleitete sie mich, sie war einfach immer
da, wenn ich sie brauchte, ohne das wir auch nur einmal über meine
Schwierigkeiten gesprochen haben. Vielleicht spürte sie oftmals meine
Hilflosigkeit, aber sie sagte nie etwas. All dies geschah, ohne dass wir
wussten, warum ich Schwierigkeiten in gewissen Lebenslagen hatten. Für meine
Brüder, Cousine, beste Freundin oder meine Mutter waren diese Momente
selbstverständlich oder „normal“ und ich hatte immer einen vertrauten Menschen
an meiner Seite, der mir Sicherheit bot und mich unterstützte. Das habe ich
früher aber nie so gesehen, aber ohne diese in meinem Leben wichtigen Menschen
hätte ich es wohl nie geschafft.
Von all
diesen mir wichtigen Menschen habe ich heute nur noch zu meiner Cousine Kontakt
und sie weiß inzwischen auch über mein „anders sein“ Bescheid und unterstützt
mich heute bewusst in vielen Lebenslagen. Gibt es wieder mal ein für mich
schwieriges unüberwindbares Ereignis, so ist sie für mich da. Manchmal reicht
es einfach aus, dass sie mir diesen gewissen Halt und die Sicherheit bietet.
Wir sehen uns nicht mehr so oft, schließlich hat jeder seine eigene Familie.
Aber sie ruft mich regelmäßig an, kommt mal kurz vorbei und fragt nach, wie es
mir geht oder ob sie etwas erledigen kann. Ich melde mich nur bei ihr, wenn ich
Hilfe benötige oder mal wieder einen Ratschlag brauche. Aber sie ist mir
deswegen nicht böse, da sie ja nun weiß, warum ich mich nicht so oft bei ihr
melde.
Im Alltag
komme ich inzwischen gut zurecht, wird es mal schwieriger, so sind mein Mann
und meine Cousine immer für mich da. Dieser Gedanke beruhigend ungemein und
stärkt mich immer wieder. Auch habe ich zwischenzeitlich wieder eine gute
Freundin vor Ort gefunden, dank einer Selbsthilfegruppe. Mit ihr kann ich
inzwischen über alles Reden und auch sie übernimmt inzwischen Dinge für mich,
die ich allein nicht schaffen würde. Freunde habe ich heute wesentlich mehr als
früher. Aber die meisten meiner engen Freunde wohnen nicht vor Ort, so dass der
meiste Kontakt nur telefonisch oder über Email stattfindet. Dennoch sind dies
die wichtigsten Menschen in meinem Leben geworden, neben meiner Familie. Dafür
an dieser Stelle auch noch einmal ein ganz dickes Dankeschön. Ohne Euch würde
mir etwas ganz besonderes in meinem Leben fehlen.
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