Samstag, 21. November 2015

"Lass es raus"

Ich bin ein Mensch, der mit wenig Schlaf auskommt. Nicht, weil ich diesen nicht brauche oder nie müde bin. Schlaf habe ich immer überbewertet, konnte nie verstehen, warum andere so gerne oder so lange schlafen.

Richtlinien zufolge sollten Kinder je nach Alter ca. 11 Stunden Schlaf bekommen, Heranwachsende bis zu 9 Stunden und ein ein gutes Maß bei Erwachsenen sind ca. 6-8 Stunden Schlaf.
Bei mir sind es ca. 3-4 Stunden Schlaf, aber das schaffe ich nicht einmal in eins durch, sondern mit Wachphasen zwischendurch. Meine bisherige Vermutung lag immer darin, das ich nicht ausgelaugt genug war, habe nicht genug Power in den Tag investiert und müsste meine Zeit zwischen körperlicher und geistiger Anstrengung besser aufteilen, damit auch ich in einen wohlverdienten Schlaf falle.
Wenn ich abends ins Bett gegangen bin, dauerte es auch nicht lange, bis sich meine Augen schlossen und ich eingeschlafen bin. Wurde ich wach, fühlte ich mich ausgeschlafen, schaute auf die Uhr und musste mit Entsetzen feststellen, das ich erst 1-2 Stunden geschlafen habe. Dieser Schlafrhythmus hält bei mir bis zum Morgengrauen an, dann darf/kann ich endlich aufstehen. Die Nacht ist bei mir immer eine Qual, auch wenn ich abends müde und erschöpft bin.

Letztens hatte ich über Facebook PN-Kontakt mit einer Mutter, deren Sohn ebenfalls die Nacht gerne zum Tag macht und mit wenig Schlaf auskommt. Wir haben lange hin und her geschrieben und während dieses Nachrichtenübertragung kamen bei mir immer mehr Gedankengänge zum Vorschein. So hatte ich viele Ähnlichkeiten mit der Schlaflosigkeit ihres Sohnes. Ihr Sohn bekommt nachts ständig Overloads, findet dann nicht mehr in den Schlaf. Tagsüber selten bis gar keine Overloads – wie bei mir. In meinem Kopf gab es ein wildes Gedankenkarussell. Gibt es Zusammenhänge zwischen unserer Schlaflosigkeit und den Overloads? Es hat mir keine Ruhe gelassen und so wählte ich in der vergangenen Nacht einen eher ungewöhnlichen Weg für meine Nachtruhe.

Bevor ich Schlafen ging, versuchte ich mich zu triggern. Ich provozierte ganz bewusst einen Overload bei mir herbei. Da es bestimmte Dinge gibt, die mich sehr leicht triggern lassen, ließ ich es zu, das ich bis zum Äußersten ging und ich konnte es ebenfalls zulassen, das ich meinen Overload „die Tür öffnete“.


In all den Jahren, in denen ich nicht wusste, warum ich so bin, wie ich bin, habe ich gelernt, mich anzupassen. So sehr, das ich erst, wenn ich allein war, es zulassen konnte, meine Wut, Hilflosigkeit, Überforderung oder Ängste raus zu lassen. Mit Familie ist es dann noch schwieriger, diese Tür zu öffnen, denn man möchte es auch nicht zeigen, ich zumindest nicht. Dadurch konnte ich nachts alles raus lassen, wozu ich am Tage nicht in der Lage bin. In der Familie und unter Freunden darf ich Autistin sein und ich lebe seit meiner Diagnose auch gut und offen damit, einfach anders zu sein und das ist auch gut so. Aber meine Overloads sind und bleiben „meine“ Overloads, die möchte ich auf keinen Fall mit anderen Teilen – was nicht immer leicht ist, aber aufgrund meiner Lernfähigkeit zum Anpassen und meiner „egoistischen Phase“, mich bei Bedarf zurückzuziehen, kann ich dieses „steuern“. So habe ich es gestern Abend auch „gesteuert“ und mich triggern lassen. Ich hatte noch vor dem Zubett gehen einen Overload, konnte demzufolge auch sehr schlecht einschlafen, aber als es dann soweit war und ich in den Schlaf gefunden habe…. 8 Stunden Schlaf mit zwei kleinen Unterbrechungen – Wow – Rekordleistung. Nun ist es nicht so wunderbar, wie es sich vielleicht gerade liest, denn ich bin mit starken Kopfschmerzen erwacht, die mich schon den ganzen Tag begleiten, einen Overload bewusst herbeizuführen, gehört auch nicht gerade zu einem Ritual, welches ich mir angewöhnen möchte und jeder, der selbst schon in einem Overload drin war bzw. Kinder hat und ständig erleben muss, wie es ist, der weiß, das dies keiner freiwillig machen möchte. Aber es war ein Experiment und ich werde es heute noch einmal starten. Einfach um zu sehen, ob ich weiter an mir arbeiten muss, damit ich lerne, einen Overload zuzulassen, wenn er raus möchte und es nicht unterbinde, nur weil ich gerade nicht allein bin. Meine Familie wird es verstehen, akzeptieren und hinnehmen. Jetzt muss ich erst einmal verstehen, akzeptieren und hinnehmen, das ich nicht alles in mich hineinfressen darf, sondern es zwischendurch auch mal rauslassen darf.

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